Sonntag, 1. Juli 2007

5. Tag

Die Nixe kommt - der fünfte Tag
Nix war's mit langer Fahrt. "Wir stehen in Oberlahnstein, und haben kein' Strom an Bord", singt die Mannschaft auf dem Vorderdeck. Die Batterien sind futsch, unsere gute Erziehung verbietet einen angemessenen Kommentar. Jetzt sind wir doch noch auf den Hund gekommen, allerdings anders, als wir uns das vorgestellt hatten.
3.35 Uhr aufgestanden, alles für die Katz. Um 3.50 Uhr gelang es Heinz noch die Maschine zu starten. Das elektrische Getriebe ließ sich allerdings nicht mehr überreden, den Vorwärtsgang einzulegen. Maschine aus und nicht mehr an. Die Batteriespannung sink, unsere steigt. Als 20 Volt unterschritten werden, geben wir's auf. Heinz und Jürgen verschwinden im Maschinenraum, nachdem sie Gerd mehr oder weniger unsaft seiner Schlafstätte entzogen haben. Nichts zu machen, die Kabel sind fest, die Kontakte blank. Es kann nur an den beiden Kisten liegen, die mit jeweils 180 Amperestunden geladen unseren Anlasser und die Bordelektrik treiben sollen. 5 Uhr, ärgern bringt nichts. also üben wir uns in Gelassenheit und weisen den Smutje an, das große Frühstück heute eher zu servieren. Zum großen Glück gibt's Dieter.
Gerd sagt, Dieter könne die größten Motoren in seine Einzelteile zerlegen und wieder zusammenbauen. Vor allem aber hat er ein Auto und wohnt nicht weit von hier, deshalb erwählen wir ihn zu unserem Retter und schmeißen ihn um halb sieben aus dem Bett.
Gerd und Heinz schildern unser Problem. Die beiden Batterien sind zwar noch nicht alt, waren aber lange gestanden und sind möglicherweise tiefentladen. Schon gestern beim Abfahren von der Bunkerstation war der Motor erst auf den zweiten Ruck angesprungen. Dieter nimmt die Sache in die Hand und erhält dazu noch den Auftrag die Krakauer mitzubringen, die er tags zuvor vergessen hatte und - endlich genügend Zuckerwürfel. Mein Vorrat aus Duisburg war auf vier lausige Stückchen zusammengeschrumpt. Und die Fahrt ist noch lang.
Die, die es können, üben sich derweil in der Kunst des Müßiggangs. Jürgen schruppt die Außenseite des Schiffs und das Steuerhaus.
Um 9.15 Uhr kommt Dieter, zwei neue Batterien im Kofferraum, die er in Koblenz noch hat frischmachen lassen. Um 9.45 Uhr läuft die Kiste wieder. Die Ladespannung steigt auf 24 Volt, und nach leichtem Klopfen auf die Anzeige sogar auf 26. Und das bei Halbgas, reicht. Scheinbar reagiert die Bordelektrik allgemein gut auf Klopfzeichen.
Dieter und Gerd machen sich noch auf den Weg, weiteren Proviant und Benzin für den Generator bunkern. Der Rest räumt die Bier- und Limokästen auf dem Vorschiff auf. Wie sieht das aus, wenn man von der Brücke auf uns herabschaut, sorgt sich Jürgen. Dass jetzt auf den 100 Kilometern bis Mainz überhaupt keine Brücke mehr kommt, erfahre ich erst später.
Um 10.45 Uhr kommen Gerd und Dieter endlich zurück. wir könnten längst weg sein. Benzin und Proviant werden geladen. Noch schnell ein Erinnerungfoto von Nothelfer Dieter. Über dem Gerd seine Verwandtschaft lass' ich nix kommen. Eine Pfanne hat seine Frau Christa auch noch mitgeschickt, eine unbestimmte Menge anderer Lebensmittel, über die uns Gerd im Unklaren lässt, um von den beiden, die spartanische Schiffahrt gewöhnten Profis nicht über die Planke gejagt zu werden, und ein Säckchen Zucker. Jetzt kann's von mir aus weitergehen bis zur Donau. Um 10.55 Uhr schließlich legen wir ab. Gerd winkt zum Abschied. Der alte Vater Rhein hat uns wieder. Es geht vorbei an Rhens, Heimat des Rhenser Wassers. Jetzt wird's schwierig mit dem Gebirge (siehe gestern).
11.08 Uhr: Kilometer 582; 12.16 Uhr: Kilometer 575; 12:42: Kilometer 571. Es gibt heute Käse und Büchsenhering – es ist Freitag, sagt Gerd, da gibt’s kein Fleisch. Wenig später schiebt er dann aber doch noch die Hausmacher nach. Nachdem und der Smutje um 12.45 Uhr Espresso gereicht hat, sitzen wir auf dem Vorderdeck und erzählen uns Witze. Jeder kennt ein paar, zum Veröffentlichen taugen sie alle nicht.
13.08: Kilometer 567. Bad Salzig kommt in Sicht, das Tor zum Gebirge. Hier wurden früher die Frachter geleichtert und die Schleppzüge umgehängt, um durch den schwierigsten und gefährlichsten Abschnitt des Rheins zu kommen. Schleppzüge gibt es heute nicht mehr, stattdessen Schubverbände, die durch ihr Bugstrahlruder auf engstem Raum manövrieren können. Auch die kleinen Schleppboote, die einst den Schiffern ihre Motorkraft und Erfahrung verkauften, sind Vergangenheit.
Geblieben sind die alten Dörfer, von Fachwerk gespickt und von Burgen überragt – eine schöner als die andere, aber doch nach einer gewissen Zeit immer das Gleiche. Heinz und Jürgen kennen viele der Dörfer und Ruinen, wissen zu mancher eine Historie und zu vielen eine Anekdote zu erzählen. Zum Beispiel übers Kloster Ehrenthal, das wir um 14 Uhr bei Kilometer 560 backbord, also links, neben uns haben. Am größten daran ist die Klosterschänke. Die Kapelle drückt sich ganz bescheiden dahinter. Um dorthinein zu gelangen, muss man durch die Wirtsstube, erzählt Heinz. Auch keine schlechte Idee, denke ich mir.
Um 14.15 Uhr erreichen wir tatsächlich bei Kilometer 558 den Schutzhafen am Hund. Am Vortag wäre es wirklich zu weit gewesen. Burgen zur Rechten, Burgen zur Linken, der Gipfelkamm gespickt mit Mauern und Zinnen. Hier in Foto, da ein Foto, man kommt zu nichts mehr anderem. Wie ruhig und schön, im wahrsten Sinn aussichtslos schön, war’s da doch im platten Holland.
Wir suchen die Nähe zum Ufer. Dort ist die Gegenströmung am geringsten. Fahrweg ist hier keiner mehr, aber Fahrwasser, also mehr als die berühmte Handbreit Wasser unter dem Kiel. Kilometer 557, steuerbord voraus St. Goar, backbord St. Goarshausen, überragt von den Burgen Katz und Maus, wir sind im Gebirge,
Zwei Kilometer später erhebt sie sich endlich vor uns, die Loreley, 14.40 Uhr. Halbnackte Jungfrauen, die singend am Ufer ihr blondes Haar striegeln, suchen wir vergebens. Da ist vielleicht heute auch nicht das Wetter dazu. Ich hab de Vater Rhein in seinem Bett gesehen – und hier hat er sich für seine Kinder besonders krumm gemacht. Eine kleine Biege rechts und eine große um den Fels herum.
Bis zu 70 Meter tief soll er sich dort eingegraben haben. Genau weiß man’s nicht. Die, die zum Nachschauen hineingesprungen sind, seien immer noch am suchen, erzählt Jürgen. Auch die Flussschiffer spinnen Seemannsgarn, wie’s scheint.
Die S-Kurve verursacht Querstörmungen, die selbst schwere Kähne zu ihrem Spielball machen. Die Lichtsignale der Wahrschau zeigen eine talwärts fahrendes Schiff an. Wahrschauen nennen sich die Beobachtungsposten, von denen aus die Schiffer in der kurvenreichen Rinne auf nahende Gefahr und Gegenerkehr aufmerksam gemacht werden.
Der Schubverband Amethyst quetscht sich an uns heran, und mit ihm 5000 Tonnen Kohle. Sie zu transportierten, bräuchte 200 große Lastwagen.
15.04 Uhr, wir sind rum um die Loreley. Die Tonnen entlang der Fahrrinne hängen schräg in der starken Strömung. 15.26 Uhr, Kilometer 551, Oberwesel. In der Klosterkirche steht der schönste gotische Flügelaltar entlang des ganzen Rheins – oder zumindest der einzige, den ich kenne. 16.15 Uhr: Kilometer 546 bei Kaub. Noch genau 50 Kilometer bis zur Mündung des Mains.
Bei Kilometer 530 erreichen wir das Bingener Loch. Um es vorweg zu nehmen – Mainz ist von dort aus nicht zu sehen.
Früher führte hier eine nur neun Meter breite Passage durch Klippen und Felsen. Ein Felsriegel zieht sich quer durch den Fluss und holte sich manches Schiff zu sich. Dann ließ irgendein Kurfürst einen Teil davon wegsprengen. Gefährlich blieb die Stelle weiter.
Der berühmte Mäuseturm, eine frühe Wahrschau, kündet davon. Anfang der 70er Jahre noch durfte die Stelle nur mit Lotsen passiert werden. Dann wurde der Fahrweg auf 120 Meter Breite ausgebaut. Schon überall zuvor lauern auch heute noch Untiefen. Felsen und Kliffs, die sich unter der Wasseroberfläche verstecken. Nur durch kleine Stromschnellen sind sie mancherorts auszumachen. Den markierten Fahrweg zu verlassen, wäre auch für die kleine Nixe mit ihren 80 Zentimetern Tiefgang ein Himmelfahrtskommando.
Am Mäuseturm passieren wir den kürzesten Rheinkilometer. Knapp 600 Meter ist er lang. Wie’s kommt. Zwei Landesherrn haben von verschiedenen Richtung angefangen zu messen. Und als sie sich getroffen haben, ging die Rechnung nicht auf. Blöd, aber so ist Bingen um eine Attraktion reicher. Genau an den fehlenden 400 Metern mündet auch noch die Nahe in den Rhein.
Am Ufer gegenüber tritt uns Rüdesheim vor die Augen. Die Germania, hoch auf dem Berg, hat es uns schon angekündigt.
Die Personenschiffe am Ufer liefern uns den Beweis. Amerikaner, Japaner, die Drosselgasse – ein Muss auf der vierzehntägigen Hatz quer durch die alte Welt.
19.10 Uhr: Kilometer 527; 20.10 Uhr Kilometer 518. Neun Sachen, Wir sind wieder gut in Fahrt, während Gerd zum Essen ruft. Das Mahl bildet das Gegenstück zum Salat vom Vortag. Der Smutje räumt die Küche auf. Da was samt Brühe vom Tafelspitz übrig geblieben ist, verbindet sich mit Kartoffeln und Bio-Spitzkohl aus Lahnstein zu einem sensationellen Suppen-Eintopf. Die schwierigste Frage stellt sich erst hinterher: Wo ankern?
Südlich von Bingen erhebt sich ein ovaler Pfeiler aus der Fahrrinne. Rest einer Eisenbahnbrücke, die im letzten Krieg in die Luft gejagt wurde. Wie die Brücke von Remagen auch, war sie im vorletzten Krieg gebaut worden, um die Westfront zu versorgen. Als sie wieder weg war, hat ihr offenbar niemand lange nachgetrauert.
Wir haben das enge Tal verlassen. Am der Schwelle zum Oberrheingraben senkt sich die Erde noch heute messbar ab. So wie sich der weite Rheingau vor uns öffnet, haben wir das Gefühl, Teil dieser tektonischen Bewegung zu sein. Das Land öffnet sich zu flachen Weinbergen hin. Im Osten liegt der Taunus. Malerische Städtchen drängen sich dicht ans flache Ufer. Hoch oben thront Schloss Vollrath. Wenig später erreichen wir Eltville mit der Sektkellerei von Mattheus Müller, bekannt durch seine Initialen.
Nach einer weiten Linksbiegung tauchen die Vorort von Wiesbaden und Mainz vor uns auf. Die Landeshauptstädte von Hessen und Rheinland-Pfalz, verbunden durch den Rhein, getrennt durch die üblichen Rivalitäten und Frotzeleien zweier enger Nachbarn. Die langen Inseln im Strom heißen hier nicht mehr Werthe, sondern Aue. Insel sagen die Schiffer eigentlich nur zu dem kleinen Stückchen Land, auf dem der Mäuseturm steht. Aber da sind wir längst drüber weg.
Stadtschlösser begleiten uns vis à vis, Fahnen winken uns zu. Auf einem Discoschiff steppt der Bär. Von der Tanzfläche auf dem Oberdeck sendet es Blinksignale über den Fluss, die die Schiffer narren.
Ein Blinklicht haben wir sehnlich erwartet. Grün ist es und leuchtet schwach aus der Ferne durch den Bogen einer stählernen Brücke. Es ist 22.30 Uhr als wir die Mainmündung erreichen. 19 Stunden sind wir jetzt auf den Beinen. Es soll eine weitere dauern bis wir vor der ersten Schleuse in Kostheim angelegt und den Tag mit einem Glas Wein verabschiedet haben.

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