Donnerstag, 28. Juni, vierter Tag: Köln - Oberlahnstein
Rau ist das Schifferleben. Aufstehen 4.10 Uhr, ablegen 4.30 Uhr. Los geht’s bei Kilometer 687. Der erste Kaffee vertreibt den Rest an Müdigkeit. Seltsamerweise bin ich topfit nach fünfeinhalb Stunden Schlaf. In der Toilette krabbelt mir eine Spinne über den Weg, nicht die erste. Das Getier scheint sich wohl zu fühlen, spricht für ein gesundes Raumklima.
Die Frühstückseier sind heute gekocht. 7 Uhr durch. Wir sind früh dran. Um 8.55 Uhr passieren wir bei Kilometer 955 Bonn-Beuel, die alte Haupstadt steuerbord, als rechts, voraus. Villa Hammerschmidt hinter den Bäumen, das alte Kanzleramt, das Wasserwerk, provisorischer Sitz des Bundestags und der Lange Eugen, das Abgeordneten-Hochhaus. Jürgen schwelgt in Nostalgie. Früher seien hier mehr Fahnen zu sehen gewesen, erinnert er sich. Wir lassen Bonn rechts liegen, während links über uns der Petersberg auftaucht, Edel-Herberge für Staatsgäste. Umweit davon Burg Drachenfels und die alte Ruine auf dem Bergspitz. Darunter die ersten Weinberge, die wir seit dem Beginn unserer großen Fahrt zu Gesicht bekommen haben Es ist 10.17 Uhr. Wir schreiben Rheinkilometer 944. Macht 7,5 Stundenkilometer in den letzten eineinhalb Stunden. Langsam eng sich der Fluss ein, entsprechend schneller muss er fließen. Das leichte Hochwasser stellt zusätzlich gegen uns, aber seit Montag schon fallen die Pegel wieder.
Ich habe mir die Rüge des Kochs eingehandelt, weil ich es bislang unterlassen habe, die nachmittägliche Kaffeetafel zu erwähnen. Ich gestehe meine Schuld ein. Kaffee mit Nusskuchen und Schokoladen-Guss. Mein Witz von der alten Dame, die dem Busfahrer täglich ein paar Nüsse zusteckt, war nicht angekommen. Vielleicht war ich deshalb so nachlässig.
Links passieren wir Rhöndorf, Adenauers einstigen Wohnort. Rechts oben tauch der Rolandsbogen auf. Er ist der Rest einer Zollburg aus dem 12. Jahrhundert und wird von Efeu uns Sagen umrankt. Den wunderschönen Blick aufs Rheintal haben schon Bundeskanzler Gerhard Schröder und US-Präsident Bill Clinton genossen. Die Ruine ist übrigens die nördliches am Rhein auf rheinland-pfälzischen Boden. Nur noch Hessen, dann sind wir zurück in Franken.
Heinz gibt unserer Verzückung den Takt. Mit dem Hammer klopft er auf dem Vorschiff herum und sucht nach rostigen Stellen unter der Farbe. Nieselregen bremst schließlich seinen Bewegungsdrang. Dafür treibt es Gerd zu neuen Taten. 10.42 Uhr. Mit dem Besen macht er klar Schiff. „Jetzt, wo mein Ruf eh ruiniert ist, kann ich auch was schaff’“, sagt er un bückt sich nach dem Kehrblech.
11.07 Uhr, die Elithe steht wieder hinter uns, jener Frachter der uns tag zuvor in seinem Sog ein Stück mitgezogen hat. Er hält merklich Distanz. 11.10 Uhr, Kilometer 637. Oberwesel bei 550 anzupeilen, wäre vermessen. Den Hafen von Oberlahnstein, knapp oberhalb der Lahnmündung bei Kilometer 586 sollte unser Ziel sein, 51 Kilometer noch sieben Stunden.
Rechts vor uns liegt die Werft von Oberwinter. Hier war die Nixe 1960 vom Stapel gegangen. Wenig später taucht rechts die Apollinaris-Kapelle von Remagen auf, die Quelle des berühmten Mineralwassers liegt unweit hinter den Bergen.
Um 11.35 Uhr passieren wir Erel, die frühere Heimat unseres Schiffs. Der Fährmann der neuen Nixe sitzt im Ruderhaus und blickt ungläubig zu uns herüber. Während er verhalten winkt, weint der Himmel. Wenige Meter sind es noch zur Brücke von Remagen.
Als Ludendorff-Brücke war sie während des Ersten Weltkriegs gebaut worden, um die Westfront schneller versorgen zu können. Als sie deutsche Soldaten im Januar 1945 sprengen wollten, war US-Truppen schon bis auf wenige Kilometer herangerückt. Die Brücke hielt der Sprengung stand und beschleunigte so den Vormarsch der Amerikaner.
Wenige Tage danach stürzte sie schließlich doch in en Rhein. Als Wunder von Remagen ging das Geschehen in die Kriegsgeschichte ein. Übrig blieben die Brückentürme zu beiden Uferseiten. Sie sind heute Mahnmal und Gedenkstätte.
Gerd schmiert Boote, wird stehen am Ruderstand und genießen kauend die Gegend.
13.23 Uhr, Hammersteiner Werth, Kilometer 618. Werth, so nennen sich die schmalen, lang gezogenen Inseln in der Rheinmitte, die sich uns in den Weg stellen. Der Horizont eng sich ein, das Rheintal wird enger. Immer mehr schnuckelige Dörfchen begegnen uns am Ufer, ein Vorgeschmack auf den schönsten Teil der Strecke, das Gebirge. So reden die Schiffer von der Strecke zwischen St. Goar und Bingen. Morgen wollen wir zeitig dort sein. Der Rhein hat hier seine stärkste Strömung, entsprechend langsam werden wir vorankommen. Aber bis dahin ist noch Zeit.
Dass man eine Haushaltsschere auch benutzen kann, um gekochte Nuden zu schneiden, war mit bisher neu. Gerd lehrt mich eines besseren. Schnip, schnapp, bringt er die Papardelle aus eine handliche Größe. Es gibt Salat à la Rumfort - alles was rumliegt und fort muss. Die übrigen Hähnchenschlegel vom ersten Abendessen machen in dieser Melange eine sehr gute Figur. Ich setze mich an Deck in die Sonne. Das Wetter ist merklich besser geworden.
Während Gerd einen Espresso serviert und mit dem Spülen beginnt, hat Jürgen die Flex ausgepackt und den Generator angeschmissen. Auf dem Vorderdeck schruppt er über die Rostflecken, die Heinz zuvor freigepickt hat. Seine Schulter schmerzt seit Tagen, aber stillsitzen geht nicht.
Andernach, das wir um 14:15 Uhr bei Kilometer 612 passieren, gibt sich zum Ufer hin eher schmucklos. Nur die beiden Domspitzen geben uns eine vage Vorstellung von der Schönheit der Stadt. Am Weissenthurmer Werth fahren wir links statt rechts vorbei. "Schreib ins Internet, der Schleßmann kennt eine Abkürzung", sagt der Käpt'n. So soll's geschehen. Vor uns türmt sich die Atomruine von Mühlheim-Kährlich. Investitionsgrab wie zuvor Kalkar, nur dass hier noch kein Holländer gekommen ist, um Berge auf den Kühlturm zu pinseln.
Jürgen hat sich vorgenommen, seine Latzhose zu waschen. Mit Rheinwasser versteht sich. Selbst den Schöpfeimer in voller Fahrt zu bedienen, will gekonnt sein. Ich muss zwei- dreimal ansetzen bis er halb voll ist. Jürgen kommt mit einem geübten Schlenk zurecht. Gerd hat inzwischen Kaffee gekocht und reicht den von mir zuvor sträflich vernachlässigten Nusskuchen.
Dann kommt Koblenz in Sicht, mit dem Deutschen Eck an der Moselmündung ein weiterer Höhepunkt unseres Reisetages. Während Kaiser Wilhelm von seinem Postament auf uns runterschaut, zieht Heinz hinter dem Fernglas die Stirn kraus. Zwei Bunkerstationen, die er aus seiner aktiven Zeit noch gekannt hat, sind mittlerweile verschwunden. Wir brauchen Öl, und wir brauchen Wasser. Gottseidank ist die Station Koblenz noch da. Über ihr erhebt sich mächtig die Burg Ehrenbreitstein.
Die beiden Herren an der Station betrachten uns mit einer Mischung aus Anerkennung und Mitleid. Wieder hilft uns einer, unser Leergut mit Wasser aus der Leitung zu füllen. Die nächsten Mahlzeiten dürfen so gesichert sein. Man wünscht uns Glück und schickt uns wieder auf die Reise. Es ist 17:30 Uhr, wir haben Kilometer 591 erreicht.
Heinz ist mittlerweile stocksauer auf die Kurbel über seinem Kopf, an der er sich schon mehrfach angeschlagen hat. Sie ist aus dem Türgriff gebastelt und erfüllt im Moment keinen Zweck für uns. Heinz beschließt, kurzen Prozess zu machen - dem seinem Lieblingswerkzeug Hammer. Zunehmend verdrossen dengelt er auf den Splint. Als er sich auch Flüchen gegenüber hartnäckig zeigt, nimmt Heinz die Eisensäge.
Viel ist an diesem Tag nicht mehr zu tun. Nach der nächsten Biegung taucht Schloss Stolzenfels in der Höhe vor uns auf. Wir haben Lahnstein erreicht, das Ziel unserer Reise. Gerne wären wird noch auf den Hund gekommen. So nennt sich ein Schutzhafen unterhalb von St. Goar. Aber dieser Hafen wäre zu weit. Um 18.10 Uhr legen wir im Hafen Oberlahnstein an, bei Kilometer 585, einen Steinwurf nach der Mündung der Lahn. Wir haben ziemlich genau 100 Kilometer gemacht. Feierabend für heute. Zum ersten Mal seit Montag betrete ich wieder festen Boden, er schwankt leicht.
Das kleine Hafenbecken ist spiegelglatt. Wie sind das einzige Schiff. Die Abendsonne zieht uns an Deck. Endlich können wir einmal gemeinsam zu Abend essen, denken wir, als es scheppert. "Die Schnitzel sind runtergefallen", schreit Heinz. Tatsächlich ist die Pfanne vom Gaskocher gekippt, trotz der ruhigen Lage. Wir kommen zu dem Schluss, dass sich Roststaub und Paprika äußerlich kaum unterscheiden und Eisen außerdem gesund ist. Zu den Halssteaks gibt es reichlich gebutterte Stampfkartoffeln und Tomatensalat. Wir sitzen gemütlich beisammen, als Dieter kommt.
Dieter Roth wohnt in Buchholz im Hunsrück und ist Gerds Schwager. Eigentlich ist er ein echter Franke aus Wiesenbronn, aber all die Jahre in der Fremde haben seinen Akzent rheinisch gefärbt. Aber das Beste an Dieter: Er hat Proviant dabei. Ein paar Flaschen Rowein aus dem Burgenland und von der Nahe, zwei neue Nusskuchen, die seine Frau Christa gebacken hat, einen großen Kanister Frischwasser und drei Rollen Küchenkrepp. Gerd hatte eine bestellt, aber Christa meint es halt immer gut. Zucker hat er nicht dabei, obwohl er unsere Reise seit Anbeginn im Internet verfolgt und um meine Not weiß. Nach dem Essen erzählt er uns, was wir alles schon erlebt haben. Wir hören gespannt zu.
Während eine zweite Flasche Rotwein dran glauben muss, tauschen wir Erfahrungen aus, die wir bisher in unserer schwimmenden Männer-WG gemacht haben. Ich schlafe ruhig. Nur einmal vorgestern habe ich - erträglich - geschnarcht. Bis ich Schnapper gemacht habe. Ich frage mich, wonach ich wohl geschnappt haben mag. Dabei kommen mir unweigerlich die achtbeinigen Haustiere in den Sinn, die uns seit Holland begleiten.
Gerd sinniert über den Inhalt seines Taschentuchs nach dem Schneuzen. Brauner Staub hat sich in seiner Nase festgesetzt. Er sei gar nicht verschnupft, sondern nur verrostet. Kurz vor zehn verabschiedet sich Dieter. Wir schlagen unser Lager auf. Gerd hat sich eine Matratze mitgebracht. Die gebückte Haltung, die er einnimmt, liegen nicht an seiner Stellung an Bord, sondern an seinen Kreuzschmerzen. Um 22.10 Uhr liegen wir in unseren Kojen. Der morgigie Tag soll früh beginnen, wir wollen ins Gebirge.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen