Sonntag, 1. Juli 2007

Vorwort

Vier Mann in einem Boot -  
der Versuch eines Logbuchs

Eine Schnapsidee oder die neue Attraktion für Ochsenfurt? Als der Stadtrat im Juni 2007 den Kauf eines Fährschiffs beschließt, weiß niemand recht, wo dessen Weg hinführt. Ein dreiviertel Jahr zuvor war die Alte Mainbrücke gesperrt worden, von heute auf morgen. Die Stadt einer ihrer Hauptschlagadern beraubt. Gutachter hatten dem 500-jährigen Viadukt den Totenschein ausgestellt. Mit ihr droht auch ein Stück der Altstadt zu sterben.
Die erste Fähre verkehrte schon wenige Tage danach. Horst Obermeier, einer, den man getrost einen Aktionskünstler nennen kann, setzte mit ihr über. Zum Spaß nur, aber mit ersten Folgen. Gerhard Lauer, Boutiquebesitzer und Leid Tragender einer brückenlosen Altstadt, machte sich die Idee zu eigen, kontaktierte Schiffsmakler und Behörden und machte sich schließlich allein auf die Suche nach Mehrheiten.
Es ist ihm geglückt, trotz vieler Zweifel und trotz unbeantworteter Fragen entschied sich der Stadtrat zum Kauf eines Schiffs. Der Verkehrsverein sicherte seine Unterstützung zu. Das Objekt der Begierde, 17 Meter lang, hatte mehr als 40 Jahre lang bei Remagen den Rhein gequert. Ein Jahr lang ist es außer Dienst und wartet bei einem Schiffsmakler nahe Rotterdam auf einen neuen Besitzer. Aus eigener Kraft soll es den Weg nach Ochsenfurt finden. Ich gehöre zur vierköpfigen Crew, nehme mir vor, Bericht zu geben, nicht ahnend welche Begeisterung die große Fahrt in vielen Menschen auslösen wird.
Schnell fällt die Entscheidung, das Protokoll der Überfahrt als Buch herauszugeben. Nur ein Bruchteil davon war in der Main-Post nachzulesen. Trotzdem überwältigte mich das Echo.
Längst ist noch nicht klar, ob die Fähre ihren Dienst aufnimmt, ob sie am Ende die Aufgabe erfüllt, die man in ihr zugedacht hat. Fest steht aber schon heute, dass selten zuvor eine Aktion in Ochsenfurt von so viel positiver Emotion begleitet war.

1. Tag


Montag, 25. Juni 2007, erster Tag:  

Ochsenfurt - Dingeloord - Werkedam

5 Uhr: Der Citybus der Stadt Ochsenfurt steht bereit. Die Crew macht sich bekannt. Heinz Schleßmann gehört dazu, 64 Jahre alt Binnenschiffer und Fachlehrer im Ruhestand, der Käpt’n, derjenige der sich auskennt.
Jürgen Gross, 63 Jahre, die man ihm nicht ansieht. Früher mal ging er als Schiffsführer auf große Fahrt, bevor er sich einen Job an Land suchte. Lange hat er nicht mehr am Steuerrad gesessen. Er ist gespannt, wirkt beinahe etwas unsicher. Was hat er noch drauf? Wie spielt sein Arm mit, den er nach einer schwierigen Schulteroperation nur noch zur Hälfte anheben kann.
Der nächste in der Mannschaft, Gerhard Wingenfeld, stellvertretender Vorsitzender des Verkehrsvereins und der Koch an Bord, eine Eigenschaft, die ihm förmlich auf den Leib geschneidert scheint.
Und dann ich, einigermaßen seefest, aber ohne genaue Vorstellung, was mich die nächsten Tage erwartet. Ich sehe mich da in bester Gesellschaft
Was ich weiß: Die Umstände sind spartanisch, die Körperpflege wird leiden, eine kleines Passagierschiff für kurze Wege ist nun mal kein Luxusliner. Dann endlich treffen die ein, die uns nach Rotterdam bringen sollen. Bürgermeister Peter Wesselowsky mit dem Scheck für das Schiff in seinem Lederbeutel und Roland Gregor, der sich auf der 1200 Kilometer langen Hin- und Rückfahrt das Steuer mit ihm teilen wird. Es geht nach Zeeland, genauer nach Dingeloord-Sassdijk, einem kleinen Ort im unübersichtlich flachen Land zwischen den verwirrenden Mündungsarmen von Rhein, Maas und Schelte.
Die Fahrt verläuft ruhig, das Wetter trübt sich immer mehr ein. Hinter der Eifel droht scheinbar das Weltende. Unser Ziel erreichen wir gegen 14.30 Uhr in einer hässlich grauen Soße aus Dunst und Starkregen. Schnell ist der Handel gemacht, 43000 Euro soll die Nixe kosten, so war es verabredet. Mit einem Schluck Kaffee aus Plastikbechern wird das Geschäft begossen. Dann geht es an die Arbeit. Die alten Teppichfliesen müssen noch raus, sie scheinen zu leben, die Bänke aufs Dach. Schließlich muss der enge Raum reichen für vier Nachtlager.
Gegen 17 Uhr dann endlich auslaufen. Von vorn herein steht fest, dass die Sonne unseren Rhythmus bestimmt. Fahren von Aufgang bis Untergang lautet die Parole. Nur so ist die Strecke in fünf oder sechs Tagen zu schaffen. Die Nixe mit ihren knapp 100 PS ist für die kurze Querung des Rheins motorisiert. Auf der Strecke macht sie bestenfalls zehn Stundenkilometer. Für mich als Autofahrer ist es verwunderlich, dass sich ein entferntes Ziel in diesem Tempo überhaupt erreichen lässt. Doch der Käpt’n ist zuversichtlich gelassen.
15 Minuten nach dem Auslaufen erreichen wir die erste Schleuse, die Volkerak-Schleuse, die den kleinen Hafen vom offenen Mündungsarm trennt. Als besondere Vorkommnisse sind das Fehlen zweier Frischwasserkanister und eines Glases eingemachter Gurken zu vermelden. Der Smutje ist schuld beschließt die Mannschaft. Die Gurken tauchen wieder auf, die Kanister bleiben verschwunden. Die hygienischen Standards haben einen erneuten Rückschlag erlitten.
Dafür hat der Himmel ein Einsehen. Bei milder Abendsonne erreichen wir gegen 19.20 die Mordijk-Brücke vor dramatischer Wolkenkulisse. Rheinkilometer 982. Wenig später treibt uns eine dunkle Regenfront vor sich her. Wir sind in die Nieuwe Merwede eingefahren.
20 Uhr das erste Mahl an Bord. Hausmacherwurst als Vorgeschmack auf die kommenden Tage, dazu ein Bocksbeutel Silvaner Kabinett. Trotz der bescheidenen Umstände kehrt ein Gefühl von Luxus ein. Die beiden Schiffsführer essen in Schichten. Zeit ist nicht zu verlieren.   21.50 Uhr, die Frankenland aus Erlenbach am Main liegt bei Werkedam backbordseits vor Anker. Familie Hahn lässt uns unser Schiff an dem Tanker anlegen. Vorsichtig wird die Nixe festgemacht. Nach der Katzenwäsche mit Flusswasser und einer Flasche Bier macht es sicht die Mannschaft in ihren Schlafsäcken bequem. Es dauert kaum fünf Minuten, bis mir die Augen zufallen.

2. Tag

Dienstag, 26. Juni 2007, zweiter Tag: 

Werkedam - Wesel:


Um 4.30 Uhr ist die Nacht rum. Trotz der etwas unbequemen Lage auf dem harten Kabinenboden war sie erholsam, der Schlaf tief, ein leichtes Schnarchen für den Rest der Crew, wie ich höre, nicht weiter störend. Der Morgen ist grau, es nieselt.
Lärmendes Vogelgezwitscher wie zu Hause um diese Zeit sucht man vergebens. Bis alles zum Ablegen klar ist, wird es 4.50 Uhr. Wir nehmen Kurs auf die Beneden Merwede, die zur Waal führten, einer der Mündungsarme des Rheins. Um 6.10 Uhr serviert Smutje Gerd die erste Tasse Kaffee. Man sieht ihr an, dass er von Haus Teetrinker ist. An der Dosierung des Kaffeepulvers soll noch gearbeitet werden. Heinz Schleßmann steht längst hinter dem Steuerrad. Ein stürmischer Westwind treibt uns trotz starker Strömung die Waal hinaus – mit neun Stundenkilometern.
Eier und Speck zum Frühstück um 7.30 Uhr, und danach selbst gemachte Marmelade. Die Mannschaft beschließt, dem Koch die vergessenen Wasserkanister zu verzeihen. Sagen will man ihm das nicht, um seine Motivation nicht zu gefährden. 
Bis dahin haben Jürgen Gross und ich schon kräftig den Kabinenboden bearbeitet. Alles was ein Baumarkt so hergibt, wurde da im Lauf von Jahrzehnten drauf gekleistert. Der bergmännische Abbau von vollflächig verklebtem Linoleum erweist sich als Tortour. Ich rede mir ein, die monotone Schinderei habe etwas Meditatives an sich. 
Um 10.20 Uhr lassen wir die Thiel-Schleuse zum Amsterdam-Rhein-Kanal backbord, also links, liegen. Als zweites Frühstück reicht der Koch Brote mit Speckwurst und Salami, fett und herzhaft. Anschließend gibt’s Espresso. Wie er das hingekriegt hat, fragt sich die Mannschaft mit Staunen. Bloß den Zucker, für mich unverzichtbar, hat er nicht dabei. 
Um 12 Uhr erreichen wir Dodewaard, Rheinkilometer 900. 
Gerechnet wird diese Entfernung ab Konstanz, Mitte Rheinbrücke, klärt mich Heinz Schleßmann auf. Die Mündung bei Rotterdam trägt Rheinkilometer 1032.
13.05 Uhr, kleines Glück auf großer Fahrt. Wir überholen den Schubverband Antonia, das erste Schiff, dass unserem Tempo nicht gewachsen ist. Wir schaffen noch immer einen Durchschnitt von neun Sachen. Selbst der Kapitän staunt. 13.45 Uhr: Kilometer 883; 14.45 Uhr: Kilometer 874. Rückwärts zählen verwirrt. Das Wetter wechselt fast minütlich von verhalten sonnig zu patschnass. Smutje Gerd bekämpft seine Langeweile mit Kaffee kochen. 
Bis zum späten Nachmittag wollen wir die deutsche Grenze erreichen. Bei 16 Stunden Fahrt am Tag lassen sich auch mit wenig Tempo viele Flusskilometer schlucken. 
Wir haben den Rhein gesehen. Nachdem wir uns über die Mündungsarme nach oben gearbeitet haben, taucht sein Name zum ersten Mal auf der Karte auf. Millingen a/d Rijn heißt die Stadt backbord voraus, also links. Die Landschaft hier ist gespickt mit militärischen Anlagen aus früherer Zeit. Zu den eindrucksvollsten gehört die Bunkeranlage am Pannerdenschen Kopf. Mit Gras überwachsende Betonklötze, die Geschützluken nach Osten gerichtet. Die deutsche Grenze kann nicht mehr weit sein. Heinz Schleßmann erzählt, dass hier bis in die 60er Jahre noch eine Sperre installiert war, die den Rhein abschotten sollte, damit das platte Land überflutet und unpassierbar wird.
Um 15.50 Uhr erreichen wir die Grenze bei Lobith bei Kilometer 863, früher niederländische Grenzstation.. Links Holland, rechts Deutschland – sieben Kilometer lang bleibt der Rhein Grenzfluss.
16.20 Uhr, bei Kilometer 860 ein letzter Blick auf niederländisches Hochgebirge. 42 Meter ragt das wuchtige Massiv über der Meereshöhe, sagt Heinz Schleßmann. 20 Minuten später kommt bei Emmerich die erste deutsche Brücke in Sicht, wie so viele Rheinübergänge von zwei mächtigen Pylonen getragen. 
Jürgen Gross steht am Ruder. Schräger Wind von hinten und der Sog der großen schnelleren Schiffe verursacht Kreuzsee, gemeint sich wilde Strömungen aus allen möglichen Richtungen, die mit der Nixe spielen. Jürgen hat alle Hände voll zu tun, das Schiff nicht verfallen, das heißt vom rechten Weg abweichen zu lassen. Dafür schiebt uns der Wind kräftig vor sich her.
16.45 Uhr, Kilometer 856. Die Deutschlandfahne am Heck des Schiffes hat unter der Kraft des Windes mächtig gelitten. Dafür hat sich das Problem mit dem Bilgenalarm erledigt. Die Bilge ist das hintere Stück des Rumpfes. Ruder und Schraubenwellen führen hier nach außen. Wenn die Wellendichtung nicht tut, was ihr Name sagt, säuft der Motor ab. Obwohl der Alarm leuchtet, ist die Bilge trocken. Scheinbar hängt der seit langem nicht benutzte Schwimmer. Ein starker Schlag auf den Boden des Steuerstandes und die Warneinrichtung funktioniert wieder. Wir machen das Licht mit dem Hammer aus.
Auch die übrigen Instrumente funktionieren wieder, nachdem sie am ersten Tag noch ihren Dienst verweigert hatten. Was eine neue Sicherung doch alles auszurichten vermag.
17.35 Uhr, Kilometer 849 und eine Geschwindigkeit von 8,5 Kilometern in der Stunde. Jürgen klärt auf, dass ein Millimeter Eisen zehn Millimeter Rost ergibt. Wir sind erleichtert. Es müsste noch genügend Stahl vorhanden sein.
Um 18.25 Uhr begegnet uns steuerbord voraus der Schnelle Brüter von Kalkar, Milliardengrab und ideologischer Zankapfel für Generationen. Den stillgelegten Rohbau der Atomanlage hat zwischenzeitlich ein Holländer gekauft und will ihn zum Vergnügungspark umbauen. Vom Kühlturm aus prangt eine gemalte Alpen-Idylle ins ebene Land – daneben ein buntes Mini-Riesenrad. Wunderschön. 
Das Wetter ist so schlecht wie den ganzen Tag, nass und kühl. Es tröstet uns, dass es in Ochsenfurt noch schlechter sein soll. Dafür ist unser Kurs jetzt Südost. Die Oberfläche des Flusses hat sich beruhigt. Die Nixe liegt ruhig auf Kurs – Auch der Steuermann kann sicht jetzt etwas entspannen. 
Aus der Schlaf-Wasch-Wohn-Kombüse verteilt sich ein angenehmer Duft. Stundenlang hat er geschnippelt und geschabt, unser Koch, ein zufriedenes Lächeln im Gesicht. Jetzt schmoren Hühnerkeulen über Tomatensoße in einem etwas zu schmalen Topf. Das Menü, so erfahren wir, setzt einen Kontrapunkt zum Cholesterin überladenen Frühstück mit Eiern und Speck. Die Hühnerbeine kommen von daheim, die Tomaten aus Segnitz, die Kartoffeln aus Holland, das Olivenöl aus der Toskana und der Wein, ein 2000er Blauer Zweigelt, aus dem Burgenland. Die vergessenen Wasserkanister seien Gerd, dem Koch, nun endgültig verziehen.Gegen 21.30 Uhr erreichen wir Wesel. Es dauert eine Weile, bis wir im Hafen Emmelsum, eingangs des Wesel-Datteln-Kanals, einen Liegeplatz zwischen zwei Frachtern finden. Anlegen um 22.15 Uhr, Katzenwäsche, ein Bier an Deck, um 23 Uhr stecken alle in ihren Schlafsäcken. Wird sind bei Kilometer 813, macht 147 Kilometer in etwas mehr als 17 Stunden Fahrzeit. Macht 8,5 Stundenkilometer im Schnitt, mehr war nicht zu erwarten.

3. Tag

Die Nixe kommt - 

der dritte Tag

Mittwoch ist heute, oder so? Es spielt keine Rolle. Aufstehen im Morgengrauen. Auslaufen um fünf. Raus aus dem Hafen unweit der Lippe-Mündung. 813 Kilometer zeigt das Schild am Ufer.
 

Die Mündung des Mains liegt bei 496, und das bei acht bis neun Sachen. Der Himmel weiß noch nicht, wie er sich entscheiden soll. Unter einer dichten Wolkendecke strahl die orangefarbene Morgensonne hervor. Gegen 6 Uhr saugen wir uns förmlich an den holländischen Frachter Elithe heran. In seinem Sog können wir etwas mehr Fahrt machen. Es geht um Nachkommastellen. Sieben Uhr, Kilometer 797, vorbei an der Ortschaft Stapp. Nie gehört, wenig versäumt dabei. Die Sonne hat es sich mittlerweile überlegt, und schiebt die Wolken zur Seite, Plattes Land am Tor zum Ruhrgebiet. 
 
Um 7.40 Uhr kommen wir an die Duisburger Reede, eine 24 Kilometer lange Anlegestelle, vorbei an Schornsteinen, Kränen und Rohrgebilden. Eine Kokerei entlässt im Zehn-Minuten-Takt dichte Dampfwolken in den Himmel.


Der Speck duftet schon. Heute gibt er zusammen mit Rührei den ersten Gang unseres Frühstücks ab. Rührei verklebt die Teller nicht so wie Spiegelei. In Zeiten des Wassermangels ein unschätzbarer Vorzug. Gestern hat Gerd das Geschirr mit Rheinwasser vorgespült. Geht. Die Marmelade, die Gerd von zu Hause mitgebracht hat, verdient es, als besonderes Vorkommnis erwähnt zu werden. Mango-Vanille-Ingwer – ein Traum. Muss wohl ein Rezept von seiner Urgroßmutter sein. Der Kaffee hat an Kraft gewonnen, aber die Süße fehlt ihm immer noch, und mir am meisten.
 

In Duisburg-Homberg schließlich, es ist 9 Uhr die Bunkerstation von Rheintank bei Kilometer 780, so etwas wie ein Baumarkt mit Tankstelle. Diesel gibt’s, der Schiffer sagt Gasöl, Schmierstoffe, Farbe – bloß keine Wasserkanister und keinen Zucker. Für den freundlichen Verkäufer ist das kein Problem. Er hilft sogar mit, unser Leergut mit Wasser zu füllen und schenkt mir eine Tasse voller Zuckerwürfel, samt bedruckter Tasse. Ich werde sie in Ehren halten. Zum Dank lassen wir ihm einen Bocksbeutel da.
 

9.15 Uhr ausgebunkert, losgefahren. Wir schleppen uns träge dahin, vorbei an Kuhweiden und Industrieanlagen. 9.45 Uhr: Kilometer 777; 11.21 Uhr: Kilometer 765; 12.57 Uhr: Kilometer 753. Es geht nicht schneller. Zwischendurch hat Gerd Kaffee serviert und später Wurstbrote. Heinz verwirft den Vorsatz, während dieser Tage abzunehmen. Dafür hat er die falsche Crew gebucht. 13.44 Uhr schließlich Düsseldorf, ein weiterer Markstein auf unserem Weg. Kneipen-Erfahrungen werden berichtet, Brücken fotografiert.
Jürgen zeigt uns, wie man Taue spleißt. Ein Stück des gedrehten Seils wird aufgewunden, die losen Enden zu einer Schlinge gebogen und in das übrige Tau verflochten. Unter Zug wird eine Verspleißung so fest, dass eher das Tau reißt.
 

Diese Brücken, abwechselungsreich, an Pylonen und Gitterbögen auf gehängt, Das Bild prägend. Nicht das Spannbeton-Einerlei von daheim. Ich erzähle Heinz, dass in Ochsenfurt schon einmal darüber geredet worden ist, das neue Mittelteil der Alten Mainbrücke an einem Bogen aufzuhängen. Anfang der 90er muss das gewesen sein. Aber über was wurde nicht alles schon geredet.
Um 14.30 Uhr überlässt Heinz Jürgen das Ruder und greift, voll des Tatendrangs zum Werkzeug. Ein Lacksplitter weckt sein Interesse. Elf Farbschichten zählt er. Fast wie bei den Jahresringen eines Baumes lässt sich das Alter des Schiffs darauf ablesen. Als er zur Flex mit Drahtbürste greift und sich am Boden des Steuerhauses zu schaffen macht, droht ihm kurzzeitig der Verlust unserer Sympathie. Brauner Roststaub zieht durch die Gemächer. Er hat bald ein Einsehen.
 

Der „Rauhe Ort“, den wir um 16.31 Uhr bei Kilometer 725 erreichen, erscheint uns friedlich. Fast genau 500 Kilometer sind es noch bis Ochsenfurt, rechnen wir nach. Bei Kilometer 496 zweigt der Main ab. Dann geht es 271 Kilometer nach Ochsenfurt hoch. 26 Schleusen. Ich überlege, ob ich mir am nächsten Montag schon was vorgenommen habe. Das mit den Kilometern ist so eine Sache. Beim Rhein wird von oben zur Mündung gezählt. Bei den Nebenflüssen ist es anders herum, Weiß der Herr warum.
 

Um 19 Uhr erwartet uns in Hitdorf bei Kilometer 706 die Familie Engel am Ufer und winkt mit blau-weißen und rot-weißen Tüchern. Die Begrüßung ist geplant. Vater Georg stammt aus Frickenhausen und hat sich als Ofenbauer in Hitdorf niedergelassen. Es winken aber nur seine Frau und die Kinder. Der Vater sei beim Bergsteigen, ruft uns die Mutter zu. Dann hat er eben Peck gehabt.
Um 19.45 Uhr empfängt uns Hermann am Bayer-Werk in Leverkusen. Hermann hieß der Ladekran, der früher genau bei Kilometer 700 stand. Die Rheinschiffer kennen ihn alle beim Namen, auch wenn Hermann längst verschrottet ist. Rolf, Peter und Kurt stehen noch da. Seltsamer Brauch, den Kränen Namen zu geben.
 

Gerd hat früh schon begonnen, Suppengemüse zu putzen. Sein Tafelspitz will lange und leise simmern. Um 20.10 Uhr ist das Mahl bereitet. Nudeln und Meerrettich gibt’s dazu. „Ein bisschen Biss muss sein“, sagt der Koch, und wischt sich den Schweiß ab, den ihm die Schärfe auf die Stirn getrieben hat. Meine Nebenhöhlen weiten sich.
Ein fruchtiges Cuvee mit deutlichen Spuren den Scheurebe passt bestens zu unserem fränkischen Hochzeitsessen.
 

Schließlich kommt Köln in Sicht. Die Türme am Horizont, die mir Gerd und Heinz viele Kilometer zuvor schon als den Kölner Dom weisgemacht haben, waren Hochspannungsmasten. Gerd gesteht mir den Schwindel, damit ich’s nicht ins Internet schreibe. Zu spät.
Gerds Begeisterung ist kaum zu überbieten. Endlich Köln. Wir prosten uns vor der Kulisse des Doms zu. Zwei prosten, einer knipst, dann wird gewechsel. Jürgen überlässt mir kurz das Ruder, um seinen Foto zu holen. Mein erstes Mal. Später dürfen Gerd und ich auch mal länger ran. Das ist erlaubt, solange ein Schiffsführer an Bord ist, klärt man uns auf. Aber lieber auf dem Main, da ist's ruhiger.
 

Es geht durch die vielen Brücken in den Hafen von Deutz. Die Severinsbrücke und den Dom im Rücken. Um 21.40 Uhr legen wir dort an der Spundwand an. Kilometer 687, 126 an diesem Tag, In knapp 17 Stunden. 7,5 Sachen im Schnitt. Maschine aus, Heinz stellt fest, dass die Maschine so viel Öl säuft wie Gerd und ich Wein trinken. Ich denke nach, wem diese Bemerkung wohl zu Ehre gereicht. Schließlich ist auch für den Käpt'n Feierabend.
Für die letzte halbe Stunde an Deck muss ein Weißburgunder herhalten, Die leichte Barrique-Note steht ihm gut. Heinz trinkt lieber Roten, ein kleines Glas nur, Wir ziehen eine Flasche auf, er wird schon nicht schlecht.

4. Tag

Donnerstag, 28. Juni, vierter Tag: Köln - Oberlahnstein

Rau ist das Schifferleben. Aufstehen 4.10 Uhr, ablegen 4.30 Uhr. Los geht’s bei Kilometer 687. Der erste Kaffee vertreibt den Rest an Müdigkeit. Seltsamerweise bin ich topfit nach fünfeinhalb Stunden Schlaf. In der Toilette krabbelt mir eine Spinne über den Weg, nicht die erste. Das Getier scheint sich wohl zu fühlen, spricht für ein gesundes Raumklima. 
Die Frühstückseier sind heute gekocht. 7 Uhr durch. Wir sind früh dran. Um 8.55 Uhr passieren wir bei Kilometer 955 Bonn-Beuel, die alte Haupstadt steuerbord, als rechts, voraus. Villa Hammerschmidt hinter den Bäumen, das alte Kanzleramt, das Wasserwerk, provisorischer Sitz des Bundestags und der Lange Eugen, das Abgeordneten-Hochhaus. Jürgen schwelgt in Nostalgie. Früher seien hier mehr Fahnen zu sehen gewesen, erinnert er sich.
 

Wir lassen Bonn rechts liegen, während links über uns der Petersberg auftaucht, Edel-Herberge für Staatsgäste. Umweit davon Burg Drachenfels und die alte Ruine auf dem Bergspitz. Darunter die ersten Weinberge, die wir seit dem Beginn unserer großen Fahrt zu Gesicht bekommen haben Es ist 10.17 Uhr. Wir schreiben Rheinkilometer 944. Macht 7,5 Stundenkilometer in den letzten eineinhalb Stunden. Langsam eng sich der Fluss ein, entsprechend schneller muss er fließen. Das leichte Hochwasser stellt zusätzlich gegen uns, aber seit Montag schon fallen die Pegel wieder.
 

Ich habe mir die Rüge des Kochs eingehandelt, weil ich es bislang unterlassen habe, die nachmittägliche Kaffeetafel zu erwähnen. Ich gestehe meine Schuld ein. Kaffee mit Nusskuchen und Schokoladen-Guss. Mein Witz von der alten Dame, die dem Busfahrer täglich ein paar Nüsse zusteckt, war nicht angekommen. Vielleicht war ich deshalb so nachlässig.
 

Links passieren wir Rhöndorf, Adenauers einstigen Wohnort. Rechts oben tauch der Rolandsbogen auf. Er ist der Rest einer Zollburg aus dem 12. Jahrhundert und wird von Efeu uns Sagen umrankt. Den wunderschönen Blick aufs Rheintal haben schon Bundeskanzler Gerhard Schröder und  US-Präsident Bill Clinton genossen. Die Ruine ist übrigens die nördliches am Rhein auf rheinland-pfälzischen Boden. Nur noch Hessen, dann sind wir zurück in Franken.
 

Heinz gibt unserer Verzückung den Takt. Mit dem Hammer klopft er auf dem Vorschiff herum und sucht nach rostigen Stellen unter der Farbe. Nieselregen bremst schließlich seinen Bewegungsdrang. Dafür treibt es Gerd zu neuen Taten. 10.42 Uhr. Mit dem Besen macht er klar Schiff. „Jetzt, wo mein Ruf eh ruiniert ist, kann ich auch was schaff’“, sagt er un bückt sich nach dem Kehrblech.
 

11.07 Uhr, die Elithe steht wieder hinter uns, jener Frachter der uns tag zuvor in seinem Sog ein Stück mitgezogen hat. Er hält merklich Distanz. 11.10 Uhr, Kilometer 637. Oberwesel bei 550 anzupeilen, wäre vermessen. Den Hafen von Oberlahnstein, knapp oberhalb der Lahnmündung bei Kilometer 586 sollte unser Ziel sein, 51 Kilometer noch sieben Stunden.
Rechts vor uns liegt die Werft von Oberwinter. Hier war die Nixe 1960 vom Stapel gegangen. Wenig später taucht rechts die Apollinaris-Kapelle von Remagen auf, die Quelle des berühmten Mineralwassers liegt unweit hinter den Bergen.

 

Um 11.35 Uhr passieren wir Erel, die frühere Heimat unseres Schiffs. Der Fährmann der neuen Nixe sitzt im Ruderhaus und blickt ungläubig zu uns herüber. Während er verhalten winkt, weint der Himmel. Wenige Meter sind es noch zur Brücke von Remagen.
Als Ludendorff-Brücke war sie während des Ersten Weltkriegs gebaut worden, um die Westfront schneller versorgen zu können. Als sie deutsche Soldaten im Januar 1945 sprengen wollten, war US-Truppen schon bis auf wenige Kilometer herangerückt. Die Brücke hielt der Sprengung stand und beschleunigte so den Vormarsch der Amerikaner.

 

Wenige Tage danach stürzte sie schließlich doch in en Rhein. Als Wunder von Remagen ging das Geschehen in die Kriegsgeschichte ein. Übrig blieben die Brückentürme zu beiden Uferseiten. Sie sind heute Mahnmal und Gedenkstätte.
Gerd schmiert Boote, wird stehen am Ruderstand und genießen kauend die Gegend.
 

13.23 Uhr, Hammersteiner Werth, Kilometer 618. Werth, so nennen sich die schmalen, lang gezogenen Inseln in der Rheinmitte, die sich uns in den Weg stellen. Der Horizont eng sich ein, das Rheintal wird enger. Immer mehr schnuckelige Dörfchen begegnen uns am Ufer, ein Vorgeschmack auf den schönsten Teil der Strecke, das Gebirge. So reden die Schiffer von der Strecke zwischen St. Goar und  Bingen. Morgen wollen wir zeitig dort sein. Der Rhein hat hier seine stärkste Strömung, entsprechend langsam werden wir vorankommen. Aber bis dahin ist noch Zeit.
 

Dass man eine Haushaltsschere auch benutzen kann, um gekochte Nuden zu schneiden, war mit bisher neu. Gerd lehrt mich eines besseren. Schnip, schnapp, bringt er die Papardelle aus eine handliche Größe. Es gibt Salat à la Rumfort - alles was rumliegt und fort muss. Die übrigen Hähnchenschlegel vom ersten Abendessen machen in dieser Melange eine sehr gute Figur. Ich setze mich an Deck in die Sonne. Das Wetter ist merklich besser geworden.
Während Gerd einen Espresso serviert und mit dem Spülen beginnt, hat Jürgen die Flex ausgepackt und den Generator angeschmissen. Auf dem Vorderdeck schruppt er über die Rostflecken, die Heinz zuvor freigepickt hat. Seine Schulter schmerzt seit Tagen, aber stillsitzen geht nicht.
 

Andernach, das wir um 14:15 Uhr bei Kilometer 612 passieren, gibt sich zum Ufer hin eher schmucklos. Nur die beiden Domspitzen geben uns eine vage Vorstellung von der Schönheit der Stadt. Am Weissenthurmer Werth fahren wir links statt rechts vorbei. "Schreib ins Internet, der Schleßmann kennt eine Abkürzung", sagt der Käpt'n. So soll's geschehen. Vor uns türmt sich die Atomruine von Mühlheim-Kährlich. Investitionsgrab wie zuvor Kalkar, nur dass hier noch kein Holländer gekommen ist, um Berge auf den Kühlturm zu pinseln.
Jürgen hat sich vorgenommen, seine Latzhose zu waschen. Mit Rheinwasser versteht sich. Selbst den Schöpfeimer in voller Fahrt zu bedienen, will gekonnt sein. Ich muss zwei- dreimal ansetzen bis er halb voll ist. Jürgen kommt mit einem geübten Schlenk zurecht. Gerd hat inzwischen Kaffee gekocht und reicht den von mir zuvor sträflich vernachlässigten Nusskuchen.
 

Dann kommt Koblenz in Sicht, mit dem Deutschen Eck an der Moselmündung ein weiterer Höhepunkt unseres Reisetages. Während Kaiser Wilhelm von seinem Postament auf uns runterschaut, zieht Heinz hinter dem Fernglas die Stirn kraus. Zwei Bunkerstationen, die er aus seiner aktiven Zeit noch gekannt hat, sind mittlerweile verschwunden. Wir brauchen Öl, und wir brauchen Wasser. Gottseidank ist die Station Koblenz noch da. Über ihr erhebt sich mächtig die Burg Ehrenbreitstein.
 

Die beiden Herren an der Station betrachten uns mit einer Mischung aus Anerkennung und Mitleid. Wieder hilft uns einer, unser Leergut mit Wasser aus der Leitung zu füllen. Die nächsten Mahlzeiten dürfen so gesichert sein. Man wünscht uns Glück und schickt uns wieder auf die Reise. Es ist 17:30 Uhr, wir haben Kilometer 591 erreicht.
 

Heinz ist mittlerweile stocksauer auf die Kurbel über seinem Kopf, an der er sich schon mehrfach angeschlagen hat. Sie ist aus dem Türgriff gebastelt und erfüllt im Moment keinen Zweck für uns. Heinz beschließt, kurzen Prozess zu machen - dem seinem Lieblingswerkzeug Hammer. Zunehmend verdrossen dengelt er auf den Splint. Als er sich auch Flüchen gegenüber hartnäckig zeigt, nimmt Heinz die Eisensäge.
 

Viel ist an diesem Tag nicht mehr zu tun. Nach der nächsten Biegung taucht Schloss Stolzenfels in der Höhe vor uns auf. Wir haben Lahnstein erreicht, das Ziel unserer Reise. Gerne wären wird noch auf den Hund gekommen. So nennt sich ein Schutzhafen unterhalb von St. Goar. Aber dieser Hafen wäre zu weit. Um 18.10 Uhr legen wir im Hafen Oberlahnstein an, bei Kilometer 585, einen Steinwurf nach der Mündung der Lahn. Wir haben ziemlich genau 100 Kilometer gemacht. Feierabend für heute. Zum ersten Mal seit Montag betrete ich wieder festen Boden, er schwankt leicht.
 

Das kleine Hafenbecken ist spiegelglatt. Wie sind das einzige Schiff. Die Abendsonne zieht uns an Deck. Endlich können wir einmal gemeinsam zu Abend essen, denken wir, als es scheppert. "Die Schnitzel sind runtergefallen", schreit Heinz. Tatsächlich ist die Pfanne vom Gaskocher gekippt, trotz der ruhigen Lage. Wir kommen zu dem Schluss, dass sich Roststaub und Paprika äußerlich kaum unterscheiden und Eisen außerdem gesund ist. Zu den Halssteaks gibt es reichlich gebutterte Stampfkartoffeln und Tomatensalat. Wir sitzen gemütlich beisammen, als Dieter kommt.
 

Dieter Roth wohnt in Buchholz im Hunsrück und ist Gerds Schwager. Eigentlich ist er ein echter Franke aus Wiesenbronn, aber all die Jahre in der Fremde haben seinen Akzent rheinisch gefärbt. Aber das Beste an Dieter: Er hat Proviant dabei. Ein paar Flaschen Rowein aus dem Burgenland und von der Nahe, zwei neue Nusskuchen, die seine Frau Christa gebacken hat, einen großen Kanister Frischwasser und drei Rollen Küchenkrepp. Gerd hatte eine bestellt, aber Christa meint es halt immer gut. Zucker hat er nicht dabei, obwohl er unsere Reise seit Anbeginn im Internet verfolgt und um meine Not weiß. Nach dem Essen erzählt er uns, was wir alles schon erlebt haben. Wir hören gespannt zu.
 

Während eine zweite Flasche Rotwein dran glauben muss, tauschen wir Erfahrungen aus, die wir bisher in unserer schwimmenden Männer-WG gemacht haben. Ich schlafe ruhig. Nur einmal vorgestern habe ich - erträglich - geschnarcht. Bis ich Schnapper gemacht habe. Ich frage mich, wonach ich wohl geschnappt haben mag. Dabei kommen mir unweigerlich die achtbeinigen Haustiere in den Sinn, die uns seit Holland begleiten.
 

Gerd sinniert über den Inhalt seines Taschentuchs nach dem Schneuzen. Brauner Staub hat sich in seiner Nase festgesetzt. Er sei gar nicht verschnupft, sondern nur verrostet. Kurz vor zehn verabschiedet sich Dieter. Wir schlagen unser Lager auf. Gerd hat sich eine Matratze mitgebracht. Die gebückte Haltung, die er einnimmt, liegen nicht an seiner Stellung an Bord, sondern an seinen Kreuzschmerzen. Um 22.10 Uhr liegen wir in unseren Kojen. Der morgigie Tag soll früh beginnen, wir wollen ins Gebirge.

5. Tag

Die Nixe kommt - der fünfte Tag
Nix war's mit langer Fahrt. "Wir stehen in Oberlahnstein, und haben kein' Strom an Bord", singt die Mannschaft auf dem Vorderdeck. Die Batterien sind futsch, unsere gute Erziehung verbietet einen angemessenen Kommentar. Jetzt sind wir doch noch auf den Hund gekommen, allerdings anders, als wir uns das vorgestellt hatten.
3.35 Uhr aufgestanden, alles für die Katz. Um 3.50 Uhr gelang es Heinz noch die Maschine zu starten. Das elektrische Getriebe ließ sich allerdings nicht mehr überreden, den Vorwärtsgang einzulegen. Maschine aus und nicht mehr an. Die Batteriespannung sink, unsere steigt. Als 20 Volt unterschritten werden, geben wir's auf. Heinz und Jürgen verschwinden im Maschinenraum, nachdem sie Gerd mehr oder weniger unsaft seiner Schlafstätte entzogen haben. Nichts zu machen, die Kabel sind fest, die Kontakte blank. Es kann nur an den beiden Kisten liegen, die mit jeweils 180 Amperestunden geladen unseren Anlasser und die Bordelektrik treiben sollen. 5 Uhr, ärgern bringt nichts. also üben wir uns in Gelassenheit und weisen den Smutje an, das große Frühstück heute eher zu servieren. Zum großen Glück gibt's Dieter.
Gerd sagt, Dieter könne die größten Motoren in seine Einzelteile zerlegen und wieder zusammenbauen. Vor allem aber hat er ein Auto und wohnt nicht weit von hier, deshalb erwählen wir ihn zu unserem Retter und schmeißen ihn um halb sieben aus dem Bett.
Gerd und Heinz schildern unser Problem. Die beiden Batterien sind zwar noch nicht alt, waren aber lange gestanden und sind möglicherweise tiefentladen. Schon gestern beim Abfahren von der Bunkerstation war der Motor erst auf den zweiten Ruck angesprungen. Dieter nimmt die Sache in die Hand und erhält dazu noch den Auftrag die Krakauer mitzubringen, die er tags zuvor vergessen hatte und - endlich genügend Zuckerwürfel. Mein Vorrat aus Duisburg war auf vier lausige Stückchen zusammengeschrumpt. Und die Fahrt ist noch lang.
Die, die es können, üben sich derweil in der Kunst des Müßiggangs. Jürgen schruppt die Außenseite des Schiffs und das Steuerhaus.
Um 9.15 Uhr kommt Dieter, zwei neue Batterien im Kofferraum, die er in Koblenz noch hat frischmachen lassen. Um 9.45 Uhr läuft die Kiste wieder. Die Ladespannung steigt auf 24 Volt, und nach leichtem Klopfen auf die Anzeige sogar auf 26. Und das bei Halbgas, reicht. Scheinbar reagiert die Bordelektrik allgemein gut auf Klopfzeichen.
Dieter und Gerd machen sich noch auf den Weg, weiteren Proviant und Benzin für den Generator bunkern. Der Rest räumt die Bier- und Limokästen auf dem Vorschiff auf. Wie sieht das aus, wenn man von der Brücke auf uns herabschaut, sorgt sich Jürgen. Dass jetzt auf den 100 Kilometern bis Mainz überhaupt keine Brücke mehr kommt, erfahre ich erst später.
Um 10.45 Uhr kommen Gerd und Dieter endlich zurück. wir könnten längst weg sein. Benzin und Proviant werden geladen. Noch schnell ein Erinnerungfoto von Nothelfer Dieter. Über dem Gerd seine Verwandtschaft lass' ich nix kommen. Eine Pfanne hat seine Frau Christa auch noch mitgeschickt, eine unbestimmte Menge anderer Lebensmittel, über die uns Gerd im Unklaren lässt, um von den beiden, die spartanische Schiffahrt gewöhnten Profis nicht über die Planke gejagt zu werden, und ein Säckchen Zucker. Jetzt kann's von mir aus weitergehen bis zur Donau. Um 10.55 Uhr schließlich legen wir ab. Gerd winkt zum Abschied. Der alte Vater Rhein hat uns wieder. Es geht vorbei an Rhens, Heimat des Rhenser Wassers. Jetzt wird's schwierig mit dem Gebirge (siehe gestern).
11.08 Uhr: Kilometer 582; 12.16 Uhr: Kilometer 575; 12:42: Kilometer 571. Es gibt heute Käse und Büchsenhering – es ist Freitag, sagt Gerd, da gibt’s kein Fleisch. Wenig später schiebt er dann aber doch noch die Hausmacher nach. Nachdem und der Smutje um 12.45 Uhr Espresso gereicht hat, sitzen wir auf dem Vorderdeck und erzählen uns Witze. Jeder kennt ein paar, zum Veröffentlichen taugen sie alle nicht.
13.08: Kilometer 567. Bad Salzig kommt in Sicht, das Tor zum Gebirge. Hier wurden früher die Frachter geleichtert und die Schleppzüge umgehängt, um durch den schwierigsten und gefährlichsten Abschnitt des Rheins zu kommen. Schleppzüge gibt es heute nicht mehr, stattdessen Schubverbände, die durch ihr Bugstrahlruder auf engstem Raum manövrieren können. Auch die kleinen Schleppboote, die einst den Schiffern ihre Motorkraft und Erfahrung verkauften, sind Vergangenheit.
Geblieben sind die alten Dörfer, von Fachwerk gespickt und von Burgen überragt – eine schöner als die andere, aber doch nach einer gewissen Zeit immer das Gleiche. Heinz und Jürgen kennen viele der Dörfer und Ruinen, wissen zu mancher eine Historie und zu vielen eine Anekdote zu erzählen. Zum Beispiel übers Kloster Ehrenthal, das wir um 14 Uhr bei Kilometer 560 backbord, also links, neben uns haben. Am größten daran ist die Klosterschänke. Die Kapelle drückt sich ganz bescheiden dahinter. Um dorthinein zu gelangen, muss man durch die Wirtsstube, erzählt Heinz. Auch keine schlechte Idee, denke ich mir.
Um 14.15 Uhr erreichen wir tatsächlich bei Kilometer 558 den Schutzhafen am Hund. Am Vortag wäre es wirklich zu weit gewesen. Burgen zur Rechten, Burgen zur Linken, der Gipfelkamm gespickt mit Mauern und Zinnen. Hier in Foto, da ein Foto, man kommt zu nichts mehr anderem. Wie ruhig und schön, im wahrsten Sinn aussichtslos schön, war’s da doch im platten Holland.
Wir suchen die Nähe zum Ufer. Dort ist die Gegenströmung am geringsten. Fahrweg ist hier keiner mehr, aber Fahrwasser, also mehr als die berühmte Handbreit Wasser unter dem Kiel. Kilometer 557, steuerbord voraus St. Goar, backbord St. Goarshausen, überragt von den Burgen Katz und Maus, wir sind im Gebirge,
Zwei Kilometer später erhebt sie sich endlich vor uns, die Loreley, 14.40 Uhr. Halbnackte Jungfrauen, die singend am Ufer ihr blondes Haar striegeln, suchen wir vergebens. Da ist vielleicht heute auch nicht das Wetter dazu. Ich hab de Vater Rhein in seinem Bett gesehen – und hier hat er sich für seine Kinder besonders krumm gemacht. Eine kleine Biege rechts und eine große um den Fels herum.
Bis zu 70 Meter tief soll er sich dort eingegraben haben. Genau weiß man’s nicht. Die, die zum Nachschauen hineingesprungen sind, seien immer noch am suchen, erzählt Jürgen. Auch die Flussschiffer spinnen Seemannsgarn, wie’s scheint.
Die S-Kurve verursacht Querstörmungen, die selbst schwere Kähne zu ihrem Spielball machen. Die Lichtsignale der Wahrschau zeigen eine talwärts fahrendes Schiff an. Wahrschauen nennen sich die Beobachtungsposten, von denen aus die Schiffer in der kurvenreichen Rinne auf nahende Gefahr und Gegenerkehr aufmerksam gemacht werden.
Der Schubverband Amethyst quetscht sich an uns heran, und mit ihm 5000 Tonnen Kohle. Sie zu transportierten, bräuchte 200 große Lastwagen.
15.04 Uhr, wir sind rum um die Loreley. Die Tonnen entlang der Fahrrinne hängen schräg in der starken Strömung. 15.26 Uhr, Kilometer 551, Oberwesel. In der Klosterkirche steht der schönste gotische Flügelaltar entlang des ganzen Rheins – oder zumindest der einzige, den ich kenne. 16.15 Uhr: Kilometer 546 bei Kaub. Noch genau 50 Kilometer bis zur Mündung des Mains.
Bei Kilometer 530 erreichen wir das Bingener Loch. Um es vorweg zu nehmen – Mainz ist von dort aus nicht zu sehen.
Früher führte hier eine nur neun Meter breite Passage durch Klippen und Felsen. Ein Felsriegel zieht sich quer durch den Fluss und holte sich manches Schiff zu sich. Dann ließ irgendein Kurfürst einen Teil davon wegsprengen. Gefährlich blieb die Stelle weiter.
Der berühmte Mäuseturm, eine frühe Wahrschau, kündet davon. Anfang der 70er Jahre noch durfte die Stelle nur mit Lotsen passiert werden. Dann wurde der Fahrweg auf 120 Meter Breite ausgebaut. Schon überall zuvor lauern auch heute noch Untiefen. Felsen und Kliffs, die sich unter der Wasseroberfläche verstecken. Nur durch kleine Stromschnellen sind sie mancherorts auszumachen. Den markierten Fahrweg zu verlassen, wäre auch für die kleine Nixe mit ihren 80 Zentimetern Tiefgang ein Himmelfahrtskommando.
Am Mäuseturm passieren wir den kürzesten Rheinkilometer. Knapp 600 Meter ist er lang. Wie’s kommt. Zwei Landesherrn haben von verschiedenen Richtung angefangen zu messen. Und als sie sich getroffen haben, ging die Rechnung nicht auf. Blöd, aber so ist Bingen um eine Attraktion reicher. Genau an den fehlenden 400 Metern mündet auch noch die Nahe in den Rhein.
Am Ufer gegenüber tritt uns Rüdesheim vor die Augen. Die Germania, hoch auf dem Berg, hat es uns schon angekündigt.
Die Personenschiffe am Ufer liefern uns den Beweis. Amerikaner, Japaner, die Drosselgasse – ein Muss auf der vierzehntägigen Hatz quer durch die alte Welt.
19.10 Uhr: Kilometer 527; 20.10 Uhr Kilometer 518. Neun Sachen, Wir sind wieder gut in Fahrt, während Gerd zum Essen ruft. Das Mahl bildet das Gegenstück zum Salat vom Vortag. Der Smutje räumt die Küche auf. Da was samt Brühe vom Tafelspitz übrig geblieben ist, verbindet sich mit Kartoffeln und Bio-Spitzkohl aus Lahnstein zu einem sensationellen Suppen-Eintopf. Die schwierigste Frage stellt sich erst hinterher: Wo ankern?
Südlich von Bingen erhebt sich ein ovaler Pfeiler aus der Fahrrinne. Rest einer Eisenbahnbrücke, die im letzten Krieg in die Luft gejagt wurde. Wie die Brücke von Remagen auch, war sie im vorletzten Krieg gebaut worden, um die Westfront zu versorgen. Als sie wieder weg war, hat ihr offenbar niemand lange nachgetrauert.
Wir haben das enge Tal verlassen. Am der Schwelle zum Oberrheingraben senkt sich die Erde noch heute messbar ab. So wie sich der weite Rheingau vor uns öffnet, haben wir das Gefühl, Teil dieser tektonischen Bewegung zu sein. Das Land öffnet sich zu flachen Weinbergen hin. Im Osten liegt der Taunus. Malerische Städtchen drängen sich dicht ans flache Ufer. Hoch oben thront Schloss Vollrath. Wenig später erreichen wir Eltville mit der Sektkellerei von Mattheus Müller, bekannt durch seine Initialen.
Nach einer weiten Linksbiegung tauchen die Vorort von Wiesbaden und Mainz vor uns auf. Die Landeshauptstädte von Hessen und Rheinland-Pfalz, verbunden durch den Rhein, getrennt durch die üblichen Rivalitäten und Frotzeleien zweier enger Nachbarn. Die langen Inseln im Strom heißen hier nicht mehr Werthe, sondern Aue. Insel sagen die Schiffer eigentlich nur zu dem kleinen Stückchen Land, auf dem der Mäuseturm steht. Aber da sind wir längst drüber weg.
Stadtschlösser begleiten uns vis à vis, Fahnen winken uns zu. Auf einem Discoschiff steppt der Bär. Von der Tanzfläche auf dem Oberdeck sendet es Blinksignale über den Fluss, die die Schiffer narren.
Ein Blinklicht haben wir sehnlich erwartet. Grün ist es und leuchtet schwach aus der Ferne durch den Bogen einer stählernen Brücke. Es ist 22.30 Uhr als wir die Mainmündung erreichen. 19 Stunden sind wir jetzt auf den Beinen. Es soll eine weitere dauern bis wir vor der ersten Schleuse in Kostheim angelegt und den Tag mit einem Glas Wein verabschiedet haben.

6. Tag

Die Nixe kommt - der sechste Tag
Samstag, 30. Juni, sechster Tag: Wir beginnen den Tag, verglichen mit den vorherigen, gelassen – und mit einem Rekord: Gerd ist heute der erste, der auf den Beinen steht. Um 4.34 Uhr nach eigener Zeitrechnung. Um 4.45 kam Jürgen hinzu und so gegen 5 Uhr Heinz und ich. Faule Bande. Sechster Tag. Wüssten wir nicht genau, dass wir morgen nicht ruhen dürfen, es könnte glatt eine Schöpfungsgeschichte werden.
Diesmal gibt’s den ersten Kaffee schon pünktlich zum Ablegen um 5.20 Uhr. Um 5.30 schließen sich die Tore der ersten Mainschleuse bei Kostheim. Der Weg zurück in die große Freiheit des Rheins ist der Nixe und uns nun versperrt – ein für allemal. Der Fluss liegt still vor unserem Kiel. Schmal ist er geworden, seit ich ihm das letzte Mal begegnet bin. Aber er wehrt sich nicht. Zehn Sachen und mehr sind drin, wenn die vielen Schleusen nicht wären, die sich uns entgegenstellen. 26 sind es bis Ochsenfurt. Die erste haben wir hinter uns. Über Funk hören wir von zwei Ruder-Regatten die heute im Raum Frankfurt stattfinden sollen. Halbstundenweise wird die Schifffahrt für sie gesperrt. Ruderer scheinen zu den natürlichen Feinden der Schiffer zu hören, wie sich später noch beweisen lässt.
Die Eier mit Speck gehören zum Frühstück wie die Marmelade. Was die Eier angeht, so wechselt Gerd seit Anbeginn der Fahrt durch, Spiegelei am Dienstag, dann Rührei, dann gekochtes Ei, und dann das Ganze wieder von vorn
Für die ersten vier Kilometer brauchen wir 19 Minuten. Macht zwölf Stundenkilometer im Schnitt. Es läuft – gut sogar. Unsere beiden Schiffsführer sind zufrieden. Um 8.23 türmt sich Mainhattan vor uns auf. Ein paar Brücken haben wird schon durchquert, Winzlinge, aber in ihrer Zahl umso mächtiger, verglichen mit dem selten überspannten Rhein.
32 Mainkilometer gefressen. Backbord, also links, Main-Tower und Deutsche Bank. Rechts das Museumsufer. Alte Mainbrücke, Eiserner Steg, der Dom. Drei sitzen an Deck, Jürgen hält das Ruder. Langsam rückt Gerd mit dem heraus, was er gestern auf seiner Einkaufstour getrieben hat. Wir erinnern uns an Retter Dieter. Mir ihm zusammen hat er sich durch die Feinkostzeile eines großen Einkaufscenters schnabuliert und dabei arglose Kunden aus der Facon gebracht. Einem wollte er weis machen, dass sich aus Nordzucker keine Marmelade kochen lässt. Er solle Südzucker nehmen, am besten den aus Ochsenfurt. Die Verkäuferin gab ihm in sofern recht, dass es mit Nordzucker zumindest länger dauere. Weil der europäische Zuckermarkt ohnehin bis in die letzte Verästelung reglementiert ist, schrecke ich in diesem Fall vor Schleichwerbung nicht zurück.
Wir passieren Schleuse Offenbach um  9.05 Uhr und erreichen eine Dreiviertelstunde später Kilometer 47. Wir denken daran: Der Main wird bergwärts gezählt.
9.50 Uhr, Kilometer 47. Die Ruderregatta, die uns geweissagt war, suchen wir vergebens. Auch von der Schifffahrtssperre keine Spur. Zum Glück, wir sind scheinbar nicht zu bremsen. Dann hören wir, wie über Funk ein Schiffsführer schimpft. Ein paar Boote haben seinen Fahrweg gekreuzt. „Bis sie über den Haufen gefahren werden, die Sch… Ruderer“, empört er sich. Dann tauchen auch vor uns ein paar der schmalen Kähne auf, brav jenseits der Boote. „Versenkt sie doch“, gibt ein zweiter Schiffsführer zurück. Funk, das ist auf dem Schiff ein Nachrichtenweg von jedem zu jedem. Alle liegen auf dem gleichen Kanal, der regelmäßig am Ufer angezeigt wird, alle hören mit.
Wir bekommen es bei Oberauheim zu hören. Heinz erkennt einen seiner früheren Schüler im entgegenkommenden Ruderhaus. „Mein Name ist Schleßmann, Heinz Schleßmann“, spricht er in den Hörer. Jetzt ist bei Bernd Koller aus Schwarzach der Groschen gefallen. „Ward ihr das gerade, auf diesem Nixe-Dings“, will er wissen. Nixe-Dings, ein Frechheit. Heinz ist angetan von den Qualitäten unseres Wassergefährts. Der Ölverbrauch hat sich in den letzten Tagen deutlich reduziert. Die Instrumente gehen immer besser, und dass die Batterien schlapp machten, kann man der alten Dame nun wirklich nicht anlasten.
Gegen halb eins erreichen wir Bayern, zumindest am Ufer links, also backbord. Um 12.40 erreichen wir den Forschungsreaktor Kahl, das älteste bayerische Atomkraftwerk, oder zumindest das, was seit der Stilllegung von uns übrig geblieben ist.
Vor der Schleuse in Krotzenburg gehen Jürgen und Gerd an Land. Beim Festmachen an der Schleusenwand will ich endlich zeigen, was ich mir alle die Tage zuvor bei Jürgen abgeschaut habe. Es geht gründlich in die Hose. Erst schmeiße ich mir das Reibholz auf den großen Zehen links, also backbord. Dann reibe ich mir ein Stück Haut vom linken Zeigefinger, weil ich das Tau falsch über den Poller rutschen lasse. Je mehr der Zehen schmerzt, desto größer wird mein Respekt vor den beiden 64-jährigen Herrn am Steuerrad. Wenn sie anlegen, sitzt jeder Handgriff. Vielleicht kann ich das auch mal eines Tages – when I’m sixty-four.
Kleinostheim, 78 Mainkilometer im Rücken. Der Akzent der Schleusenwärter, weckt heimatliche Gefühle. Noch stärker werden sie, als wir einen Frachter sehen, der am rechten Ufer festgemacht hat, Gaukönigshofen steht hinten auf seiner Kabine. Es hält kein Zug in Hopferstadt, weil Hopferstadt kein’ Bahnhof hat, heißt es. Warum es dann in Gaukönigshofen Schiffe gibt, wäre mir sicherlich immer ein Rätsel geblieben, wenn es Heinz nicht gäbe. Schimmer heißt der Eigner, klärt er mich auf, Mitglied der Main-Schifffahrts- Genossenschaft  MSG und tatsächlich aus Gaukönigshofen. Vielleicht lerne ich ihn ja nach der Fahrt mal kennen.
Entrückt von Zeit und Raum, hätte ich den Geburtstag meiner Schwiegermutter um ein Haar vergessen. Wir sitzen zu dritt an Deck als ich anrufe. Gemeinsam singen wir "Happy Birthday". Ich mache ihr weis, einen Shanty-Chor zu ihren Ehren bestellt zu haben. Ich muss ein schlechter Lügner sein.
Langsam werden die Gedanken ans Ende unserer Reise wach – Heinz weckt sie mit professionellem Kalkül, ich begleite sie mit Wehmut. Wann werden wir’s wohl schaffen. Wir haben gut Fahrt gemacht an diesem Samstag. Der Fluss ist leer, nur wenig Schiffe sind unterwegs. Verladen wird am Wochenende nicht. Nur wer schon Fracht hat, fährt weiter. Die Schleusen sind besetzt. Wir waren von einer Ankunft am Montag ausgegangen. Nach unserem Batterieschaden war nichts anderes zu erwarten. Aber heute lief es. Wir könnten es am Sonntagabend schaffen. Heinz taxiert, rechnet sich Fahr- und Schleusenzeiten hoch, grummelt und brummelt vor sich hin. Sonntag wäre schön. Also gibt es zwar einen Grund zur Eile, aber längst keine Not. Am Montag anzukommen wäre schade, weil wir uns den Empfang schon ausgemalt haben, Aber es wäre kein Malheur. Schließlich ist sich auch Heinz sicher. Wir schaffen es am Sonntag, und wie ich ihn kenne, wird er alles tun, um Recht  zu behalten.
Was tun jetzt? Die Meldung, dass es Montag wird, ist längst verbreitet. Ich setze eine Eilmeldung im Internet ab und suche nach den Telefonnummern von Radiosendern. Der erste, den wir erwischen ist Elmar Marquardt von Radio Charivari. Gerd ruft ihn an und Elmar nimmt ihn direkt in die Sendung. Zum zweiten Mal trifft uns das Glück bei Bayern 3. Christine Rose ist gerade auf Sendung und nimmt uns mit einem Live-O-Ton ins Programm. Gerd wünscht sich „Ein Schiff wird kommen“. Leider passt Nana Mouskouri nichts ins Format der Sendung. Wir nehmen mit Tina Turner vorlieb.
Um 17 Uhr haben wir Erlenbach zur Linken und Wörth am Main zur Rechten. Auf der letzten Mainwerft zu Erlenbach liegen ein paar Frachter auf Kiel. Einer davon wird verlängert. Man trennt das Schiff dazu einfach in der Mitte durch und schweißt ein neues Teil hinein. Es scheint zu pressieren. Ein Schweißer ist noch bei der Arbeit, am späten Samstag nachmittag. Oder braucht er die Überstunden, wie Jürgen vermutet.
Wörth ist seit einigen Jahren von einer hohen Hochwasser-Schutzmauer umschlossen. Der rote Sandstein trübt die Ansicht kein bisschen. In meiner Heimat Frickenhausen wäre man froh über einen solchen, viele Millionen teuren Schutzwall.
Während wird uns Klingenberg von seiner Schokoladenseite her nähern, putzt Gerd an Deck in der Abendsonne das Gemüse für sein Ratatouille. An der Schleuse in Klingenberg fragt uns der Schleusenwärter, wo wir denn hin wollten mir unserer Konservenbüchse. Gerd, der beim Gemüse schneiden nur halb zu gehört hatte, schreckt entrüstet auf. Mit Konservenbüchsen will sich unser Smutje nicht in Verbindung bringen lassen.
Es ist schön geworden. Die Abendsonne taucht die Landschaft in goldenes Licht. Vom Wasser aus sieht das alles noch viel schöner aus. Jetzt, wo ich die Orte dem Namen und manchmal auch dem Ansehen nach kenne, anders als entlang des Rheins, wird mir der Reiz unserer Fahrt erst richtig bewusst. Man fährt nicht mit dem Auto nach XY, steigt aus, schaut sich um und hastet weiter. Man nimmt die Gegend förmlich in sich auf, den weiten Blick über den Fluss vor sich. Ich kann mir keinen schöneren Weg vorstellen, eine Landschaft kennen zu lernen, neu und ganz anders kennen zu lernen.
Jürgen steht am Ruder, lümmelt sich er über die unspektakulär ruhige. Heinz sitzt in Gerds Klappstuhl. Wie bitte? Den Stuhl, den er seit Tagen m liebsten über Bord geworfen hätte. Tatsächlich, der Rast- und Ruhelose hat es sich bequem gemacht. Auch ihn haben die letzten Tage ein wenig verändert. Das habe ich auch an seinem Interesse für meine Arbeit gemerkt. Am Anfang schien er mir etwas skeptisch. Computer sind nichts für ihn, und mein ständiges Geschreibsel und Geknipse schien ihm ebenfalls suspekt. Doch nachdem er einiges gelesen hat, freut er sich sichtlich, schaut mir immer wieder über die Schulter um neues zu lesen und die letzten Bilder anzuschauen. Leider muss ich ihn meistens enttäuschen. Strom aus dem Akku will sparsam verbraucht werden. Und bei den vielen Eindrücken, die ich sammle, bleibt kaum die Zeit, sie in die Tastatur zu hacken.
Überhaupt ist alles viel entspannter geworden. Gestern hatte es zwischen Heinz und Jürgen ein wenig geknistert. Kein Wunder, wenn zwei wie sie zusammen kommen – erfahren in dem was sie tun, alte Hasen, die beweisen wollen, was sie können, aber stur wie die Maulesel. Heute kommen sie uns vor wie ein Herz und eine Seele. Wir werden ihr gegenseitiges Vertrauen noch brauchen, wenn wir Lengfurt erreichen wollen.
Das dortige Zementwerk hat Heinz als Tagesziel ausgemacht. Es wird spät werden. Zum Glück sind kaum Schiffe unterwegs. „Morgen schreibst du ins Internet: Tausche Bett und Anker für gut erhaltenen Scheinwerfer“, befiehlt mir Jürgen, ich gehorche.
Um 17.36 Uhr kreuzt ein Wasserskifahrer unseren Weg und bringt heftig Wallung in unsere alte Dame. Scheinbar meint er, Gerd macht es Spaß, bei Seegang seinen Knoblauch zu schnippeln. Dessen Duft weht heftig Richtung Steuerhaus. Jürgen fürchtet um den ehelichen Frieden, wenn er morgen mit einer Knoblauchfahne heimkommt.
17.50 Uhr, Großheubach mit Kloster Engelberg voraus. Kilometersteine sind am Main seltener zu finden. Bei den vielen Schleusen bedarf es dieser Orientierungshilfe auch kaum. Jürgen findet immer mehr Gefallen an der Nixe. Die Armaturen gehen wieder klaglos, der Ölverbrauch sinkt merklich, nachdem sich die Nixe wieder an harte Arbeit gewöhnt hat. Heute fehlen am Peilstab nur wenige Millimeter.
Und auch Heinz ist zufrieden. Der Dieseltank ist kurz vor dem Ziel nach halb voll. Er hatte gerechnet, dass die 1600 Liter gerade so reichen könnten. „Der Rumpf ist Klasse“, sagt er. Der Kiel schiebt nur ein kleines Gekräusel vor sich her, wenige Meter nach dem Heck schließt sich das Wasser wieder zu einer ebenen Fläche. Jedes PS, das für den Wellenschlag verbraucht würde, ginge für en Vortrieb verloren. Wir machen gut Tempo. Deutlich über zehn Stundenkilometer.
Der Main ist eingezwängt zwischen Spessart und Odenwald. Reiher stehen uns am Ufer Spalier. Um 19.30 Uhr kommt Miltenberg in Sicht. In der Schleuse Faulbach erwartet uns Erro. In Köln war er uns das erste Mal begegnet. Über Tage haben sich unsere Wege gekreuzt. Jetzt hält er kurz inne, um uns noch mit in die Schleusenkammer zu lassen. Wertvolle Viertelstunden schenkt er uns so.
Das Wasser nach der Schleusenausfahrt gleich einem Spiegel. Der Spessart mal zwei, einmal richtig rum, einmal auf dem Kopf. Ich muss schnell machen mit dem Fotografieren, bevor der nächste Talfahrer meinen Spiegel zerschlägt.
In Freudenberg wartet Hartmut. Er hat es Gerd am Telefon angekündigt. Hartmut Gruss kommt aus Ochsenfurt und ist extra mit dem Motorrad hierher gefahren, um uns von der Brücke aus zuzuwinken. Dachten wir. In Wirklichkeit reicht uns Hartmut vorn der Brüstung an einer langen Leine einen roten Beutel zu. Die Übergabe klappt. Der Beutel landet auf dem Dach. An der nächsten Schleuse hole ich die Sendung ein.
Vier Flaschen dunkles Kellerbier, gebraucht vom Ochsenfurter Winfried Zippel in seiner Seinsheimer Kleinbrauerei. Alle vier Flaschen haben die turbulente Übergabe heil überstanden. Nur ein Schnappverschluss ist aufgegangen, ohne dass viel verschüttet wurde. Beim Anblick des Tranks beschließen wir, Winfried Zippel einen Gruß zu senden und gute Besserung zu wünschen. Vor einigen Tage ist er beim Bierbrauen in einen Eimer mit heißem Wasser gestiegen un hat sich heftig verbrüht. Vielleicht stammen unsere vier Flaschen ja aus dem gleichen Sud.
Das Abendessen genießen wir auf dem Vorderdeck. Die Abendsonne wärmt noch. Ratatouille mit Schwarzbrot hat er uns angekündigt, der Gerd. Dass er noch das Filet eines argentinischen Jungrinds in petto hat, erfahren wir erst, als er die Steaks zärtlich mit Pfeffer und Oliveröl massiert. Heinz ist heute vor Jürgen. Burgenländer Wein begleitet unser letztes Abendmahl an Bord.
Um 22.15 Uhr erreichen wir die Schleuse Eichel. Eigentlich ist um zehn Uhr Feierabend. Wir haben eine Späterschleusung angemeldet. Im letzten Abendlicht unterhalten wir uns über die Schleusenkammer hinweg mit dem Wärter. Gerd erklärt ihm, dass die Nixe zwei Jahre in Ochsenfurt als Fähre verkehren soll. So lange bis die Alte Mainbrücke wieder fertig ist. Er hat schon von uns gehört, sagt er. Gerd Frau hat an der Lengfurter Schleuse ein Päckchen hinterlegt. Von dort hat sich die Kunde von unserem Erscheinen schnell herumgesprochen. Das Fax, das Heinz hatte schicken lassen, ist in Eichel nicht angekommen. Das Gerät ist kaputt. „Nur mit Schrott schaffen wir hier“, brummt er auf dem Weg zu seinem Leitstand. Ob er damit auch auf unser Schiff anspricht, werden wir nie erfahren.
Wir stehen jetzt vor dem aufregendsten Teil unserer heutigen Tagesreise. Es ist nahezu finster. Unser Positionslicht sendet einen schwachen Schimmer über das ebene Wasser. Autos blenden entlang der Uferstraße ihre Scheinwerfer auf. Das Ufer lässt sich erahnen – an der Spiegelungsachse zwischen richtigem und verkehrtem Spessart muss es sein. Ich weiß jetzt zu schätzen was es heißt, sich blind zu vertrauen. Jürgen ist Lotse und weist Heinz vom Vorderdeck aus in die Fahrrinne. Die Tonnen rechts uns links sind mit seinem großen Fernglas auszumachen. Gerd und ich sind mit im Führerhaus. Keiner spricht. Die Spannung scheint fast das Atem zu verbieten. Draußen spiegeln sich wieder die Autolampen. Die Reflexionen irrlichtern auf der blanken Fläche. Heinz kennt die Strecke wie seine Westentasche. Jahrelang hat er seinen Schülern die Tücken der Strecke gelehrt. Jetzt beweist er, dass er sie selbst verstanden hat.
Es ist 22.53 Uhr, als der Mond in unserem Rücken langsam in die Baumspitzen klettert. „Schau, da hinten“, sagt Jürgen, „wenn er hochkommt können wir die Nacht durch bis ans Schwarze Meer fahren.“ „Schieb ihn mal ein bisschen weiter“, gibt Heinz retour.
23.30 Uhr. Homburg tritt vor uns auf. Nach einer Flussbiegung erscheint das hell erleuchtete Zementwerk von Lengfurt vor uns. Zehn Minuten später legen wir an der Kaimauer vor dem Werk an. Die ganze Nacht über ist dort hell erleuchtet. Jürgen fürchtet um seinen Schlaf. Als wir nach einem letzten Glas Wein ins Bett kommen, ist Heinz schon fast eingeschlafen. Er hat für 5 Uhr in Lengfurt eine Frühschleuse bestellt. Es ist halb eins. Ich stelle den Wecker an meinem Mobiltelefon auf 4.40 Uhr, wir mir von Heinz geheißen, und schlafe ein. 96 Kilometer liegen noch vor uns. 170 sind wir heute gefahren, so viel wie nie zuvor in den letzten Tagen. 

7. Tag

Die Nixe kommt - der siebte Tag
Sonntag, 1. Juli, siebter Tag: Keiner hört auf mich. Den Wecker am Mobiltelefon habe ich auf 4.40 Uhr gestellt. Ob mich der Rufton geweckt hat oder das Starten des Motors, weiß ich nicht. Jedenfalls sind alle anderen hellwach, als ich mich pünktlich aus dem Schalsack schäle. Zehn Minuten später stehen wir vor der Schleuse in Lengfurt. Wieder ein Schleusenwärter, den wir für eine angemeldete Sonderschleusung früh rausgeholt haben. Gerds Frau hatte hier am Tag zuvor ein Paket und einige Karton hinterlegt. Jürgen holt die Ware, wirft sie Gerd zu. Wir führen war im Schilde. Um 5.05 Uhr sind wir wieder draußen aus der Kammer und tauchen in den Nebel.
Der hat sich an diesem Morgen milchig zwischen die beiden Ufer gelegt. Die Sicht reicht aus. In die Schleuse Rothenfels nehmen wir noch zwei dicke Weggefährten mit – Frachter, die mit uns in die Schleuse einfahren. Nach der Ausfahrt meckert der Schiffsführer der Wertheim, die im Oberwasser wartet, ins Funkgerät, was denn ein Sportboot unseres in der Schleuse zu suchen hat, und warum es als erstes losfährt. Das war ein Fehler. Erstens weil wir kein Sportboot sind, sondern eine Personenschiff auf Überführungsfahrt. Zweitens weil wir schneller draußen sind als die großen Brüder hinter uns. Und drittens, weil er nicht ahnt, wer hier an Bord das Sagen hat.
Wie sollte er auch. Das Schild auf dem Dach weist die Nixe noch immer als Rheinfähre Erpel-Remagen aus, und darunter steht der Name des früheren Besitzers. „Herr Brockmann, hier spricht die Nixe“, bellt Heinz im Befehlston in den Hörer, „wir haben ein Attest und einen Schleusenschein.“ Schleßmann erkennt Brockmann. Brockmann erkennt Schleßmann nicht. Und der streckt die Zunge raus und grinst sich eins.
Unsere beiden Verfolger werden uns wohl bis nach Hause begleiten. Hoffentlich können sie Schritt halten.
Statt Frühstück bei Tiffany gibt’s Frühstück bei Lohr. 7.45 Uhr. Gerd räumt den Kühlschrank aus und serviert den gebratenen Speck heute in überdimensionierter Form zum Spiegelei. Gespiegelt, gerührt, gekocht. Gerd bleibt im Takt. Einmal gab es vorgestern sogar verlorene Eier, das war, als dem Smutje die Schüssel runter gefallen ist.
Als wir um 9.30 Uhr Langenprozelten erreichen, läuten die Glocken. Zur Messe, nicht wegen uns. Der Nebel hat sich gehoben. Ich frage Jürgen nach den versprochenen 30 Grad. „Hüben fuffzehn, drüben fuffzehn“, antwortet er kurz. Es könnte trotzdem unser erster heißer Tag werden. Der Neben hat sich gehoben und einen blassblauen Himmel freigegeben.
Seit 5.30 Uhr sitze ich nun schon an meinem Computer, nur vom Frühstück und gelegentlichen Anlegemanövern unterbrochen. Gestern waren die Eindrücke so vielfältig, dass ich kaum Zeit hatte, sie festzuhalten. Außerdem hatte mein Funknetz im Spessart immer wieder schlapp gemacht. Ich muss fleißig nacharbeiten.
Kurz vor der Schleuse Harrbach stört mich Jubel aus dem Ruderhaus. Über Funk teilt der Schleusenwärter mit, dass er uns vor unseren beiden Verfolgern solo durchlässt. Jetzt haben wir den Rücken frei und reine Luft voraus. Es ist 11 Uhr.
11.50 Uhr Schleuse Himmelstadt in Sicht. Der Motor gibt komische Geräusche von sich. Aus einer schwarzen Rauchwolke steigen Blitze auf. Das Getriebe explodiert und reißt uns ein mannshohes Loch in den Rumpf. Wir sin
+++SOS +++ Übertragung abgebrochen +++ SOS +++
Stopp, stopp, natürlich alles Quatsch. „Wir sin…gen La Paloma“, könnte der letzte Satz enden. Wir haben ein Luxus-Problem, wir sind zu schnell. Unsere alte Dame hat scheinbar wie die wahrhaftigen Nixen den Unterleib eines Fischs. So schnell und geschmeidig gleitet sie durch Wasser. 12 Uhr. High Noon in Himmelstadt, dabei soll der Showdown erst um 20 Uhr sein. Wir haben alle darauf vorbereitet. Wir können die, die uns erwarten, nicht enttäuschen und einfach so nach Hause schleichen. Heinz will es nicht verstehen. Als Binnenschiffer ist er im Bewusstsein groß geworden, dass Zeit Geld ist. Jetzt sind wir gehalten, sie zu vergeuden. „Kasperltheater“, brummt er.
Um 13.15 Uhr schleusen wir uns in Erlabrunn durch. Man hat von uns gehört – über Funk, übers Radio, übers Internet, über die Zeitung. Vom Steg über der Schleuse aus werden wir von den ersten Fans winkend erwartet. Gerd grinst in sich hinein. Er hält Kontakt zur Heimat und ahnt, dass uns Großes bevorsteht. 13.37 Uhr,
Mainkilometer 243, noch 28. Veitshöchheim und Margetshöchheim vor uns, verbunden durch den Steg, der abgerissen werden soll, weil er einem Schiffsstoß nicht standhalten könnte. „Sollen wir’s mal ausprobieren“, fragt ich Jürgen. Er sucht sich lieber den Weg zwischen den Flusspfleilern. 14 Uhr.
Wir passieren den neuen Hafen in Würzburg. Welchen Rastplatz sollen wir anlaufen? Wir tuckern am Kulturspeicher vorbei, Friedensbrücke, dann müssen wir warten. Vor der Schleuse Würzburg. In Zell wurde Heinz von Freunden am Ufer erwartet. Sie winken. In Würzburg treffen wir sie wieder, steuerbord, also rechts. Zusammen mit meinem Kollegen Günther. Eine Woche lang hat er das, was ich in den Computer getippt habe, für die Zeitung fein gemacht.
Die „Stadt Würzburg“ wird talwärts geschleust. Ob man das zu unserer Begrüßung so eingerichtet hat? Es wäre doch nicht nötig gewesen. Zwei hübsche Damen liegen auf der Wiese und essen Kuchen. Gerd bittet sie, uns ein Stück abzugeben. Der Versuch misslingt. Wir fahren winkend weiter.
Einem Maler fahren wir ins Motiv. Er verzeiht zwar, weigert sich aber, uns ins Bild mit aufzunehmen. Das Oberwasser der Schleuse Randersacker soll unser Schutzhafen sein. Unbeobachtet, wie wir glauben, wollen wir dort ausharren, bis die Zeit reif ist zur Heimkehr. Nur noch die Schleuse Goßmannsdorf liegt vor uns. Der Rest der Strecke sollte kalkulierbar sein.
Heinz und ich diskutieren über die Spuren, die der Mainausbau hinterlassen hat. Um 15.30 Uhr fahren wir in die Schleuse ein. Als wir 20 Minuten später im Oberwasser anlegen, steht Heinz’ Freund schon mit einer Tüte in der Hand am Ufer. Kuchen hat er besorgt, nachdem uns die Damen zuvor den ihren vorenthalten hatten. Wir schlagen an Deck die Kaffeetafel auf, als meine Frau und unsere Freundin Andrea des Wegs kommen. Jetzt gibt’s ein Problem. Das Schiff wollen wir auf keinen Fall betreten lassen. Bis wir nicht angekommen sind, kommt niemand an Bord, da sind wir uns einig. Also findet die kurze Begrüßung am Ufer statt. Viel Zeit bleibt nicht, wir sind schließlich nicht zu unserem Vergnügen da. Auch ein unbekannter Herr ist da. Auf einem Fest in Marktsteft hat er von unserer Ankunft und unserem Rastplatz Wind bekommen. Er will sich den Augenblick nicht entgehen lassen, macht Fotos. Auch ich gebe ich ihm meine Kamera. Bisher sind Fotos selten, auf denen wir alle vier zu sehen sind. Wir haben die T-Shirts an, die Gerd hatte drucken lassen. Sie waren der Inhalt des Päckchens, das Gerds Frau an der Schleuse in Lengfurt hinterlassen hat. „Nixe – Altstadtfähre Ochsenfurt“ prangt auf rotem Grund.
Ein Sportflugzeug kreist über uns. Otmar Brand sitzt am Steuerknüppel, Heinz Faulhaber und Walter Meding gehören zu den Passagieren.
Die Kartons sind für Schilder gedacht. „Eilfähre Rotterdam – Odessa“ steht darauf. Seit Tagen schon haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir Ochsenfurt wohl überraschen könnten. Viele Gedanken gingen uns durch den Kopf. Bis hin zu dem, uns in der Nacht an Ochsenfurt vorbei zu schleichen und vom Berg, von Frickenhausen her am Ziel einzulaufen. Wir stellen uns die Blick vor, die sich vergeblich gen Westen gerichtet hätten, und verwerfen die verwerfliche Idee.
Auch Andrea Trumpfheller besucht uns in Randersacker, ihre Erregung ist der Erleichterung gewichen. Als Tochter einer Schifferfamilie hat sie die Botschaft von der Havarie in Himmelstadt geglaubt, das Gedächtnis schon nach Mechanikern und Schweißern druchsucht, die unsere alte Dame schnell wieder flott machen könnten. Als sie sich überzeugt hat, dass die Nixe heil und sie einem üblen Scherz aufgesessen ist, fällt die Anspannung von ihr ab. Aber auch sie darf nicht über die Reling. Prinzip ist Prinzip.
Um 18 Uhr binden wir die Taue los. Unsere beiden Verfolger aus der Schleuse in Lengfurt haben uns wieder eingeholt. Wir warten, bis sie uns passiert haben und hängen uns in ihre Spur. Es geht auf die letzten Meter. Bei Kilometer 260 die Kalte Quelle. 265 an der Brücke in Sommerhausen. Fünf, vier, drei . . . lang vor der Schleuse Goßmannsdorf stehen die ersten Spalier, die anderen auf dem Steg über der Staustufe. Ich erkenne Renate und Ernst Lindner, Klaus Müller, Frank Lindemann, Konrad Tremel. Der erste Schluck Wein wird uns gereicht. Wir sind präpariert und haben die Gläser bereitgestellt. „Die Schleuse Goßmannsdorf grüßt das Fährschiff Nixe“, ruft Schleusenwärter Franz Stroh durch den Lautsprecher. Wir grüßen zurück.
Jürgen nimmt Abstand zu den beiden Pötten vor uns. Die Frankenland kommt uns entgegen, jenes Schiff, dass uns im fernen Zeeland Halt für die erste Nacht gegeben hat. Die Welt ist klein.
Wir erwarten unsere Ankunft. So haben wir sie nicht erwartet. In Kleinochsenfurt empfängt uns eine Hundertschaft am Ufer. Eine Fahne des SV Kleinochsenfurt wird geschwenkt. Hände winken. Gesichter lachen. Objektive richten sich auf uns. Die Ruine der Alten Mainbrücke tritt in unseren Blick. Die Ruine, derentwegen wir uns auf große Fahrt begeben haben. Davor spannt sich ein Bogen aus Wasser. Die Feuerwehr hat ihn gebaut, es soll ein Triumphbogen für uns sein. Sirenen heulen.
Heinz, der Zweifler, begräbt seine Zweifel. Jürgen, der Stille, steht stolz und glücklich am Steuerrad. Wie wir alle stolz darauf, es geschafft zu haben. Und glücklich, seine Frau und seinen Hund wieder zu sehen. Beide hatte er vermisst. Gerd, der Zweckoptimist, lässt sich von der Begeisterung tragen, die uns am Ufer entgegenschlägt. Ich, der Schreiber, bin unsicher. Von der gewohnten Rolle des Beobachters trete ich in die ungewohnte des Akteurs. Wir werden wie Helden empfangen, dabei haben wir nichts gemacht, als unseren gewohnten Komfort und unseren regelmäßigen Tageslauf für ein paar Tage gegen ein Abenteuer einzutauschen.
Ein paar hundert Leute stehen am Ufer. Das Ochsenfurter Saxtett spielt das Frankenlied. Bürgermeister Peter Wesselowsky fängt das Tau auf und wirft es über den Poller - ungelenk, wie ich nach all meiner Erfahrung zu sagen weiß. Ein roter Teppich, mehr ein Fußabstreifer, wird vor uns ausgebreitet. Gerhard Lauer breitet ihn aus. Jener, dessen Idee mit unserer Hilfe Wirklichkeit geworden ist. Sekt wird gereicht, später Freibier.
Wir grüßen, winken, schütteln Hände, umarmen Freunde, Familie. Plaudern, erzählen. Es sind unsere Erfahrungen, Erinnerungen, Erlebnisse. Wir geben sei preis, schenken sie her. Ein Irish Folk Quartett unterhält vom Vorderdeck aus, während wir das Schiff zur Besichtigung freigeben.
Ich fühle mich ganz museal, als ich die Kabine beschreibe, unsere Gewohnheiten der letzten Tage, die Schlafplätze, den noch immer gut gefüllten Kühlschrank, die Bordtoilette.
Manchen steht Entsetzen ins Gesicht geschrieben, als sie die Rostflecken sehen. Ich erkläre, dass der Rost unter vielen Schichten verborgen lag, dass wir den rohen Zustand, wie er vor uns liegt, erst herbeigeführt haben, um die anschließende Instandsetzung zu erleichtern. Wir, vor allem Heinz, der Hammerspecht.
Im Inneren beginne ich schon Abschied zu nehmen von einer faszinierenden Zeit. Faszinierend auch wegen der Ansichten, die ich gewonnen habe. Faszinierend aber vor allem wegen der Freunde, die ich gewonnen habe.
Gerd, den selbst inszenierte Müßiggänger. Früh um sechs hat er uns den ersten Kaffee gereicht. Später ein opulentes Frühstück, einen zweiten Kaffee, zur Mittagszeit Brote geschmiert, am Nachmittag erneut Kaffee, diesmal mit Kuchen. Am Abend gekocht, stundenlange Vorbereitung und den Espresso danach mit inbegriffen. Den Speiseplan perfekt geplant, das Geschirr gespült, vier-, fünfmal am Tag. Und trotzdem den Faulenzer gespielt, überzeugend genial. Jürgen, der sich bewiesen hat, wie viel Kraft und Wille noch in ihm steckt. Der nach Jahren an Land in sein altes Leben als Schiffer zurückgefunden hat. Und schließlich Heinz, der Skeptiker, dessen Schalk und Herzlichkeit unter einer rauen Schale verborgen liegen. Ich erzähle, wie aus vier einander fremden, ja fremdartigen Menschen, ein Team geworden ist. Wie aus Reibungspunkten Schweißpunkte geworden sind. „Man braucht eine Reibfläche, um ein Feuer anzuzünden“, sagt Heinz.